Der Sensationsfund vom vergangenen Jahr stammt nach Ansicht von Experten ursprünglich aus dem NS-Archiv der Stasi.

Berlin. Nachdenklich blickt der israelische Ministerpräsident auf die Stadt Berlin, die weit unter ihm im Sonnenlicht liegt. "Es war genau an diesem Fenster", sagt er schließlich, "genau hier hat der Verleger Axel Springer 1976 zu meinem Vater gesagt: "Dies ist der Ort, wo die Freiheit endet. Und wo die Tyrannei beginnt." Der Ort war das Berliner Hochhaus des Axel Springer Verlages, als Fanal der Freiheit direkt an die Berliner Mauer gebaut.

Über Tyrannei wusste auch Netanjahus Vater Ben-Tzijon leidvoll Bescheid: Unmittelbar vor seiner Berliner Reise war sein älterer Sohn Jonathan als Elitesoldat im Kampf gegen den Terrorismus gefallen.

Nun steht Benjamin Netanjahu im schwarzen Anzug und weißen Hemd im 19. Stock des Verlagsgebäudes. Hinter ihm liegen vergilbte Baupläne auf einem Tisch. Welche Gefühle den Regierungschef des jüdischen Staates bewegen, als er diese sehr sorgfältig und detailliert ausgeführten Zeichnungen in Augenschein nimmt, kann nur vermutet werden. Es sind die Baupläne von Auschwitz, dem entsetzlichsten aller Vernichtungs- und Konzentrationslager der NS-Zeit. Bis zu 1,5 Millionen Menschen, die meisten von ihnen Juden, wurden in Auschwitz vergast, erschossen, erschlagen, bei medizinischen Experimenten zu Tode gequält oder auf andere bestialische Weise ermordet. Es war eine gigantische Fabrik des Todes - einzig zu dem Zweck errichtet, menschliches Leben wie am Fließband zu vernichten.

Der Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, Kai Diekmann, zitiert den früheren polnischen Außenminister Wladyslaw Bartoszewski, der Auschwitz einmal "das unmenschlichste Bauwerk, das je errichtet wurde", genannt hat. Ein Redakteur der "Bild"-Zeitung war im vergangenen Jahr auf 29 Original-Bauzeichnungen aus den Jahren 1941/42 gestoßen. Sie zeigen das ganze mörderische System an Lagerbaracken, Krematorien und Gaskammern. Die Unterlagen tragen die Unterschriften und Paraphen des "Reichsführers SS", Heinrich Himmler, und des Lagerkommandanten von Auschwitz, Rudolf Höss. Kleine Details lassen schaudern: Am Rande des Stammlagers ist ein winziges Rechteck zu erkennen: Das Wohnhaus von Rudolf Höss - aus dem Fenster kann er direkt auf eine Gaskammer blicken.

Der vorige Besitzer der Pläne behauptete, sie stammten aus einer Entrümpelung in Berlin. Experten gehen jedoch davon aus, dass das Konvolut aus dem NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit stammt, dessen mit solchen NS-Funden befasste Abteilung ausgerechnet den unheilvollen Namen 9/11 trug - so wie die Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA genannt werden.

Der sensationelle Fund soll jedoch nicht wieder in einem deutschen Archiv verschwinden, sondern der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem übereignet werden. Kai Diekmann übergibt die Baupläne an Netanjahu vor einem erlauchten Kreis; unter anderem sind der israelische Minister Yossi Peled sowie Yoram Ben-Zeev, Botschafter Israels in Deutschland, anwesend.

Netanjahu bedankt sich für das "Geschenk der Wahrheit" - ein Hinweis auf notorische Holocaust-Leugner. Stumm betrachtet Sara Netanjahu die "Pläne der Hölle", wie ihr Mann sie nennt. "Die Familie meiner Frau wurde im Holocaust praktisch ausgelöscht", erklärt Netanjahu; "von 100 Personen überlebte nur noch ihr Vater."

Benjamin Netanjahu, die Pläne vor Augen, berichtet, wie er einst in den Uno-Archiven Unterlagen darüber fand, dass die Alliierten frühzeitig über den Judenmord informiert waren - und nichts dagegen unternahmen. Zwei Lektionen gelte es aus der Geschichte zu ziehen, sagt Israels Premier: Erstens dürfe man dem Bösen nicht erlauben, sich manipulierend zu entfalten.

Und zweitens sei es wichtig für die Juden, sich verteidigen zu können. Dieses Mal müssten die Führer der Welt die Bedrohung für Israel rechtzeitig erkennen - und entsprechend handeln. Jeder im Raum weiß sofort, worauf sich diese Sätze beziehen: auf den Iran.