Die Angst vor mehr Kriminalität hat sich gelegt. GdP-Chef Freiberg: “Ein Verdienst der Bundespolizei.“

Hamburg. Wenn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sich am Sonntag mit seinen Amtskollegen aus Polen und Tschechien in Görlitz trifft, wird er sicher Erfolgszahlen verkünden: Die Grenzöffnungen zu den östlichen Nachbarstaaten vor einem Jahr haben den Menschen das Reisen erleichtert, sie einander näher gebracht und die Wirtschaft gefördert, aber die Kriminalität nicht bedrohlich erhöht. Das ist die Tendenz, die sich schon jetzt abzeichnet.

Auch die Halbjahresbilanz des Beitritts von Polen, Tschechien, Ungarn, Slowenien, der Slowakei, Estland, Lettland, Litauen und Malta zum Schengenraum fiel schon in Teilen positiv aus. Im August verkündete das sächsische Innenministerium, dass sich zwar der Autodiebstahl verdreifacht habe, die Gesamtzahl der Kriminalität aber etwa in der Grenzstadt Görlitz um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken sei.

Auch die Diebstähle in Läden und Kleingärten stiegen zunächst. "Diejenigen, die es versuchen wollten, haben es versucht", sagt Klaus Wils, Leiter der Polizeidirektion Anklam. Anziehend für Diebe sei nach wie vor die Insel Usedom, wo man von Polen aus zuerst in die Luxus-Ostseebäder Ahlbeck und Heringsdorf gelangt.

Der Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, hatte vor einem Jahr bei der Grenzöffnung noch große Sicherheitsbedenken geäußert, weil mit einer parallel laufenden Umorganisation der Bundespolizei der Abzug von Beamten drohte. Doch inzwischen ist auch er beruhigt. "Wenn man die Sicherheitslage heute betrachtet, dann gibt es an der Grenze stellenweise einen Anstieg der Einbrüche und Autodiebstähle, aber das wird sich legen", sagte Freiberg gestern dem Abendblatt. "Ich will das aber nicht dramatisieren." Die Entwicklung sei vor allem ein Verdienst der weiterhin ausreichend präsenten Bundespolizei, die seit einem Jahr verstärkt bis zu 30 Kilometer ins Landesinnere hinein mit mobilen Kontrollen Verdächtige überprüft. Ein Abzug von Beamten stehe allerdings weiterhin im Raum. "Solange sich nicht alles normalisiert hat, darf das nicht passieren", sagte Freiberg.

Die Zahl von 6500 Bundespolizisten, die derzeit an der Grenze zu den östlichen Nachbarn eingesetzt sind, will der Sprecher des Bundespolizeipräsidiums nicht sagen. Er lobt vor allem die enge Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden und des Zolls im Grenzbereich. Deutsche sitzen in zwei Zentren mit ihren polnischen und ihren tschechischen Kollegen an einem Tisch. "Das verkürzt die Wege und ist erfolgreich", sagt Jörg Kunzendorf.

Die meisten Anwohner sehen die Grenzöffnung ebenfalls als Erfolg - auf ganz anderer Ebene. Die nordostdeutsche Grenzregion, eines der strukturschwächsten Gebiete bundesweit, erlebt eine Ansiedlungswelle von Polen. Rund 220 Neubürger aus dem Nachbarland zählte der vorpommersche Uecker-Randow-Kreis 2008, etwa 100 polnische Bürger kamen neu in die brandenburgische Uckermark. Insgesamt werden in der Region jetzt 1750 polnische Einwohner gezählt. Zwei polnische Firmen haben sich niedergelassen, um in Deutschland zu produzieren, immer mehr Polen treten als Immobilienmakler auf. "Alle leer stehenden Häuser im Ortsteil Rosow sind verkauft", sagt Bürgermeister Wilfried Burghardt aus Mescherin, der nordöstlichsten Gemeinde im Landkreis Uckermark, direkt an der Grenze zu Polen.

Der Grund für die Ansiedlungen ist einfach: Das alte Zentrum der Region, die Hafenstadt Szczecin (Stettin) mit ihren rund 420 000 Einwohnern, liegt vor der Haustür. "Der EU-Beitritt und der Beitritt zum Schengenabkommen hat Polen nicht nur mehr Freiheit, sondern auch höhere Einkommen gebracht", berichtet Konrad Modrzejewski. Der junge Pole hat als erster bei der Wohnungsverwaltung in Löcknitz eine Lehre als Immobilienkaufmann absolviert. "Die Löhne in Polen haben sich in vier Jahren verdoppelt", sagt er. Auch seine Frau bekomme mehr, so hat sich das junge Paar schon ein Haus gesucht - auf deutscher Seite. Die Preise für Immobilien rings um Stettin lägen mittlerweile etwa doppelt so hoch wie ein paar Kilometer weiter westlich.