“Politik ist ein brutales und manchmal auch ein schmutziges Geschäft. Diese bittere Erfahrung teile ich jetzt mit Andrea Ypsilanti. Als ich die...

"Politik ist ein brutales und manchmal auch ein schmutziges Geschäft. Diese bittere Erfahrung teile ich jetzt mit Andrea Ypsilanti. Als ich die Nachricht aus Hessen im Radio hörte, hat mich das fast aus den Socken gehauen. Was die Genossen sich da erlaubt haben, ist unanständig und moralisch verwerflich.

Jeder Sozialdemokrat kann natürlich sagen, ich bin gegen eine rot-grüne Minderheitsregierung, die von der Linkspartei toleriert wird. Aber alles mitzumachen, von den Koalitionsverhandlungen bis zu den Parteitagen, und dann im letzten Moment auszusteigen, das hat mit Politik nichts mehr zu tun. Das ist menschlich ekelig.

Ich weiß, wovon ich rede. Der Ablauf in Hessen und vor gut drei Jahren in Schleswig-Holstein ist vergleichbar. Andrea hat es einen Tag vor der Wahl im Landtag erwischt und mich damals 24 Stunden später. Das sind Erlebnisse, die sich für den Rest des Lebens einbrennen, die einen persönlich tief verletzen. Man würde am liebsten alles hinschmeißen, die Sachen packen und in Urlaub fahren.

Ich fand meine Situation damals beschissen ohne Ende. Andrea wird ähnlich fühlen. Und trotzdem muss frau erst mal weitermachen. Das ist alles andere als einfach, weil man die Blicke der politischen Gegner spürt, weil man in den Medien zur Deppin der Nation gemacht wird, weil man mit dem öffentlichen Hohn und Spott leben muss.

Ich hoffe, dass Andrea möglichst viel davon erspart bleibt. Aber ohne Spießrutenlaufen wird es nicht abgehen. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Roland Koch sie im Landtag anguckt und in einer Auseinandersetzung nur mitleidig sagt, ach Frau Ypsilanti. So etwas geht an die Nieren. Auch wenn man es sich nicht anmerken lässt. Dazu kommt der Stress in der eigenen SPD. Die werden sich in Hessen gegenseitig umbringen, zumal klar ist, wer Andrea verraten hat. In Kiel war die Lage noch angespannter. Bis heute ist ja unklar, wer sich bei meiner Wahl enthalten hat, wer also der Heide-Mörder ist.

Wenn ich beide Fälle zusammen betrachte, fällt mit zweierlei auf. Zum einen ist Politik in Deutschland unanständiger geworden. Früher gab es in den Parteien und gerade in der SPD auch viele harte Auseinandersetzungen um die richtige Politik und natürlich um die richtigen Personen, dann aber wurde entschieden, und die Verlierer haben den Beschluss mitgetragen. Diese Form von Fraktionsdisziplin gibt es heute nicht mehr.

Zum anderen fällt es schon auf, dass zwei Frauen, die Ministerpräsidentin werden wollten oder es schon waren, so ausgebremst wurden. Ich glaube, das ist kein Zufall. Natürlich werden ab und zu auch Männer in der Politik gemeuchelt. Aber bei Frauen sind die Skrupel offenbar geringer, weil Politikerinnen in Deutschland nach wie vor nicht so ernst genommen werden. Das wird sich nur ändern, wenn mehr Frauen Politik machen. Sie sollten sich aber warm anziehen und sich ein dickes Fell zulegen, weil Politik - wie gesagt - brutal und manchmal so schmutzig ist wie in Wiesbaden oder Kiel."


Im März 2005 verweigerte ein unbekannter SPD-Abgeordneter bei der Ministerpräsidentenwahl in Kiel viermal Amtsinhaberin Heide Simonis seine Stimme. Sie beendete ihre Karriere.