Nächste Woche, nach der politischen Sommerpause, beginnen schlagartig die Vorbereitungen für das Superwahljahr 2009 mit dem Höhepunkt...

Nächste Woche, nach der politischen Sommerpause, beginnen schlagartig die Vorbereitungen für das Superwahljahr 2009 mit dem Höhepunkt Bundestagswahl. 72 Prozent der Deutschen glauben, die Union werde die Wahl gewinnen - sicher ist das bei aktuell 36 Prozent CDU/CSU-Wählern aber noch lange nicht.

Noch verdeckt die desaströse Lage der SPD den Blick auf die kaum besser postierte CDU. Doch auch unter deren Wählern rumort es: Nicht mal mehr die Hälfte ihrer Wähler ist mit der politischen Arbeit zufrieden, mit der Bundesregierung sind es nur noch 26 Prozent: Auch die Union steckt in großen strukturellen Problemen, die ein "Weiter so" keinen Tag mehr duldet. Will sie erfolgreich sein, muss sie gleich sechs Baustellen zeitgleich angehen:

Die erste: Wo CDU draufsteht, steckt oftmals Sozialdemokratie drin. Der CDU-Markenkern ist nicht mehr auffindbar. Kochs Strafrechtsverschärfungs- und Schäubles Sicherheitsbemühen passen einfach nicht zur Genderpolitik von Familienministerin Ursula von der Leyen, Merkels roter Toleranz und dem immer öfter verordneten Grün-Profil. Die Folge: Die Familienministerin bekommt bessere Werte bei SPD- und Grün-Wählern als im eigenen Lager. Konservative, Männer und Arbeitnehmer verlassen die CDU in Scharen. Erstmals wählen Bezieher staatlicher Leistungen öfter die Union als Beschäftigte. Die Union ist für viele zur undefinierbaren Volkspartei politischer Inkonsequenz mutiert.

Die zweite: Die CDU hat ihre Bindekraft verloren, sie kann ihre Stammwähler nicht halten: Weniger als drei von vier Wählern 2005 würden die Union heute wiederwählen. Die Grünen halten immerhin 84, die Linke sogar 95 Prozent ihrer damaligen Anhänger. Ihr einziger Trost: Der SPD geht es mit nur noch 57 Prozent stabilen Wählern noch schlechter. Die fehlende Bindung wird dadurch erschwert, dass ihre Wähler die Union in alle Richtung verlassen: Etwa ein Drittel zur FDP, ein weiteres zur SPD oder Linken, das letzte zu den Nichtwählern.

Die nächste Baustelle: Die CDU-Kernkompetenz "Wirtschaft" ist verblasst. Jahrzehntelang, zuletzt bei der NRW-Wahl 2005, lebte sie vom Ruf als Partei des Aufschwungs für alle: Attraktiv war sie besonders für ältere Arbeitnehmer auf dem Höhepunkt ihrer beruflichen Schaffenskraft. Weil inzwischen aber nur noch jeder zehnte Arbeitnehmer das Gefühl hat, am Aufschwung zu partizipieren und besonders bei Älteren die Angst vor Arbeitslosigkeit grassiert, ist nun nirgendwo der CDU-Anteil geringer als unter den 45- bis 59-jährigen Arbeitnehmern. Die Union ist zur Partei der Transferempfänger geworden, sie hat die kleinen Leistungsträger vergrault und ist für Selbstständige kaum mehr attraktiv.

Das vierte Problem: Als Partei mit den bislang meisten Stammwählern leidet sie besonders stark unter der zunehmenden Atomisierung: Längst ist Politik für die Deutschen zur "Anything goes"- Veranstaltung konvertiert: Für jede politische Position gibt es Gegenargumente, ein verbindliches Wertesystem existiert längst nicht mehr, die "Das tut man nicht"-Denke steht auf der Liste aussterbender Einstellungen. Ob Atomenergie, verschärftes Jugendstrafrecht oder Tempo 130 auf Autobahnen: Fast überall gibt es gleich viele Befürworter wie Gegner. Und fragt man CDU-Wähler, ob sich ihre Partei eher sozial oder marktwirtschaftlich ausrichten sollte, erhält man auch hier ein 48:49 Prozent-Ergebnis.

Die fünfte Baustelle: Ostdeutschland! Nur noch 25 Prozent würden dort die CDU wählen, die Linke dominiert mit 33 Prozent eindeutig. Die Vereinigungspartei hat selbst im 20. Jahr nach Maueröffnung die Ostmentalität noch nicht verstanden, Politik vor allem als Mitgefühl ("Compassion") und tatkräftige Alltagshilfe aufzufassen.

Und schließlich: Die Karawane des kurzfristigen Wähleransturms SPD-enttäuschter wertekonservativer Arbeiter hat großteils wieder kehrtgemacht und ist aus Frust über weiterhin große berufliche Unsicherheit und zurückgehende Einkommen nach links außen bzw. zu den Nichtwählern unterwegs. Die CDU verpasst die Chance, die klassischen Schutzbedürfnisse dieser Wähler zu bedienen.

Hinter dieser Entwicklung steckt ein Mentalitätswandel der Deutschen, den die großen Parteien mit Ausnahme der Linken derzeit verschlafen: Wir leben am Vorabend eines politischen Paradigmenwechsels: Konsens statt Kompetenz ist das Prinzip, das in Zukunft Wahlen entscheiden wird. Globalisierungsprobleme, starke Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, Versorgungsunsicherheit sowie Preisextremismus versichern den Deutschen, dass aus dem Zeitalter des Überflusses das des Rückschritts wird, dem die Politik hilflos gegenübersteht.

Also fordern sie von der Politik anstelle politischer Schlaumeierei und leerer Worte Chancen und Risiken, Leistung und Lohn, Geben und Nehmen gerechter zu verteilen. Christian Wulff und Jürgen Rüttgers haben das im Ansatz erkannt. Die Union im Bund noch lange nicht.


Klaus-Peter Schöppner ist Geschäftsführer des TNS Emnid Medien- und Sozialforschungsinstituts mit Sitz in Bielefeld.