Die eine kennt es kaum anders, die andere ist erst durch die Arbeitslosigkeit in die Armutsfalle geraten. Für Gerda Beutler ist schon ein Stück Schokolade oder der Besuch beim Friseur ein Luxus. Und Wiebke Drohula leistet sich eben ihren Hund. Zwei Frauenschicksale aus Hamburg, die zeigen, was Armut in Deutschland im normalen Alltag bedeutet.

Gerda Beutler - 100 Euro Taschengeld im Monat Die Haare macht sie sich meistens selbst. Nur wenn sie eine Dauerwelle braucht, geht sie zum Friseur. Das sagt Gerda Beutler (91) immer wieder. Das ist ihr sehr wichtig. Weil es zeigt, wie gut sie noch zurechtkommt. Und wie gut sie mit ihrem Geld haushalten kann. Auch wenn es wenig ist. 119,67 Euro Altersrente bekommt Gerda Beutler, dazu eine Witwenrente von 169,76 Euro und eine Grundsicherung in Höhe von 391,49 Euro vom Sozialamt. Macht zusammen 680,92 Euro. Rund 100 Euro davon stehen ihr jeden Monat als sogenanntes "Taschengeld" zu. Mit dem Rest muss sie sich an ihrem Heimplatz im Christophorus-Haus in Hummelsbüttel beteiligen.

Damit gilt Gerda Beutler als arm. Laut Definition. So bezeichnet werden möchte sie aber nicht. Das ist ihr sehr wichtig. "Ich lebe in bescheidenen Verhältnissen. Nicht in Armut", sagt die alte Dame. Sie sei es gewohnt, wenig zu haben. "Früher, nach dem Krieg, war das doch normal. Da hatten alle nicht viel. Warum sollte das heute anders sein."

Ihr Zimmer im Christophorus-Haus ist 24 Quadratmeter groß - inklusive Bad. Neben dem Bett stehen ein Nachttisch und ein kleiner Kleiderschrank, gegenüber ein Sessel, zwei Tische und ein Fernseher. Auf dem Tisch liegt eine Gratiszeitung aus der Apotheke, daneben steht ein Blumentopf. Er ist leer. Manchmal bringt ihr die Tochter einer anderen Bewohnerin Blumen mit. Eigene Kinder hat Gerda Beutler nicht. Und sie selbst würde sich nie Blumen kaufen. Dafür ist sie zu sparsam. Dafür hat sie zu wenig. Sie spart ihr Geld lieber für den Friseur, die Fußpflege und ein bisschen Schokolade. "Das ist mein kleiner Luxus." Manchmal kauft sie sich etwas im Kioskwagen des Christophorus-Hauses, manchmal bringt ihre Nichte ihr Schokolade mit.

Am liebsten guckt Gerda Beutler Fernsehen oder trifft sich mit anderen Bewohnern im Garten. Weil sie die Unterhaltung mag. Und weil es kostenlos ist. "Viele schöne Dinge im Leben kosten kein Geld. Dadurch werden sie ja nicht schlechter", sagt Gerda Beutler.

Im vergangenen Jahr hat sie 100 Euro geschenkt bekommen - und konnte ihr Glück kaum fassen. Ein Geschäftsmann hatte dem Altenheim 1500 Euro gespendet. 100 Euro als Geburtstags- oder Weihnachtsgeschenk für 15 Menschen, die arm sind. Menschen wie Gerda Beutler. Auch wenn sie nicht so bezeichnet werden möchte. Das ist ihr sehr wichtig.

Wiebke Drohula - Fleisch ist für sie einfach zu teuer

Wenn mal etwas Unvorhergesehenes passiert, weiß Wiebke Drohula (51) am Ende des Monats oft nicht mehr, wovon sie für sich und ihre zwei Söhne etwas zu essen kaufen soll. Seit ihr Arbeitgeber, eine Pflegeeinrichtung, 2002 insolvent ging, ist die alleinerziehende Mutter arbeitslos und lebt von Hartz IV.

"Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal im Kino war", sagt Drohula. "So was ist bei uns einfach nicht drin." Neben Hartz IV bekommt sie von ihrem geschiedenen Mann zwar noch Unterhalt für die Söhne Nils (17) und Tom (20). Doch rund 400 Euro davon muss sie für die Unterbringung ihres jüngsten Sohnes in der Einrichtung Das Rauhe Haus aufbringen. Der 17-Jährige macht dort nach Verhaltensauffälligkeiten in der Schule eine Therapie und holt seinen Hauptschulabschluss nach. Sohn Tom wohnt noch bei seiner Mutter und hat einen Ein-Euro-Job als Maler.

"Wir haben jeden Monat zu dritt knapp 600 Euro zum Leben. Das ist ein echter Krampf", sagt Wiebke Drohula.

Bevor sie einkaufen geht, rechnet die Barmbekerin sich deshalb ganz genau aus, wie viel ihr Einkauf kosten darf. "Ich kenne und vergleiche die Preise in den Discountern", sagt die 51-Jährige. "Und wenn ich merke, dass das Geld für die Einkäufe nicht reicht, muss ich eben kürzen, wo es geht." Zudem würden steigende Lebensmittelkosten ihr das Leben zusätzlich erschweren. Auf Fleisch verzichten sie schon lange, denn das ist "einfach zu teuer." Trotz der oft "aussichtslosen Lage" will die selbstbewusst wirkende Frau nicht aufgeben. Etwa 200 Job-Bewerbungen hat sie schon geschrieben - bislang ohne Erfolg. Jetzt hat die ausgebildete Kinderpflegerin einen Ein-Euro-Job als Altenpflegehelferin angenommen und wartet auf Bewilligung vom Arbeitsamt, damit sie ab September eine Ausbildung zur Kranken- und Pflegeassistentin beginnen darf. "Wenn ich nichts mache, werde ich verrückt zu Hause", sagt Wiebke Drohula. Ihr größter Wunsch: ein "fester Arbeitsplatz und ein normales Leben".

Kraft und Energie zum Weitermachen geben ihr die Söhne Nils und Tom sowie ihr Mischlingshund Lupo, den sie als ihren "einzigen Luxus" empfindet.

Und selbst an einem schlechten Tag, an dem sie "am liebsten einfach aufgeben möchte", weiß sie eines ganz sicher: "Auch wenn es schwierig für uns ist: Unter der Brücke werden meine Söhne und ich nicht landen, dafür werde ich sorgen."