Die Linke ist aus Sicht der Grünen-Fraktionschefin “einen Millimeter klein, mit Hut“.

Hamburg. Seit der Wahl vom Sonntag wird intensiv über Schwarz-Grün diskutiert. Bloße Mehrheitsbeschaffer werde ihre Partei aber nicht sein, sagt die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Renate Künast.


Abendblatt:

Frau Künast, in der Union gibt es Anzeichen dafür, dass man in Hamburg gern Schwarz-Grün ausprobieren würde. Wie attraktiv ist diese Option für die Grünen?

Renate Künast:

Für Hamburg ist entscheidend, was die Hamburger Grünen wollen und die werden anhand von Inhalten entscheiden. Grundsätzlich ist es gut, wenn Rot-Grün nicht mehr unsere einzige Option ist rein rechnerisch kann sie das ja auch nicht mehr sein. Doch neben Schwarz-Grün gibt es mehrere andere Varianten.



Abendblatt:

Ein Abschied von Rot-Grün als einziger Option?

Künast:

Das haben wir schon zu Beginn dieser Legislaturperiode auf Bundesebene gesagt. Wir können ja rechnen. Rot-Grün war früher ein Projekt, als verkrustete gesellschaftliche Strukturen aufgebrochen werden mussten. Einen solchen Charakter hat das jetzt nicht mehr. Jetzt geht es bei der Regierungsbildung immer knallhart um die Frage, was man inhaltlich konkret verändern will: erneuerbare Energien fördern, gerechtere Zielsetzungen in der Wirtschaftspolitik, Klimaschutz und Bildung.



Abendblatt:

Wo sehen Sie inhaltlich am ehesten die Möglichkeit von Kompromissen in Hamburg?

Künast:

Von Berlin aus ist das nicht zu beurteilen. Aber ich rate bei allen Überlegungen zu hanseatischer Gelassenheit. Die Frage, ob man Wege zueinander finden kann, das müssen CDU und GAL vor Ort klären. Am Donnerstag diskutieren die Hamburger Grünen in einer Mitgliederversammlung darüber, ob sie Gespräche mit der CDU aufnehmen. Ich vertraue den Hamburger Grünen, dass sie das sauber und solide handhaben. So oder so weiß ich, dass sie beinhart an grünen Inhalten festhalten werden. Für alles andere sind wir nicht zu haben!



Abendblatt:

Die Situation in Hamburg ist besonders: Während sich die Parteispitze Schwarz-Grün vorstellen kann, hat die Basis massive Bauchschmerzen dabei. Wie kann man die Basis überzeugen?

Künast:

Die Basis muss so etwas nicht nur mitragen, sondern selbst herstellen wollen. Daran führt kein Weg vorbei. Wir haben uns Rot-Grün gewünscht und hart dafür gekämpft. Jetzt gilt es, Schritt für Schritt auszuloten, was mit dem Wahlergebnis geht und was nicht. Wenn man in Verhandlungen keine grüne Politik durchsetzen kann, dann gibt es auch keine Koalition. Die Grünen werden nie als bloße Mehrheitsbeschaffer herhalten. Im Fall von Hamburg geht es um die Erneuerung dieser Metropole, um Innovation. Wir wollen eine Stadt, die allen Kreativität und Entwicklung ermöglicht, unabhängig vom Einkommen. Hamburg hätte das Potenzial, ein "Leuchtturm", ein Vorbild, zu werden.



Abendblatt:

Da gibt es dann doch vielleicht Gemeinsamkeiten mit der Union. Denn die Wähler attestieren Herrn von Beust auch bei den Themen Zukunft und Innovation gute Arbeit…

Künast:

Immer wenn ich in Hamburg war, habe ich gehört, dass seine Innovationskraft dann aufhört, wenn es beispielsweise darum geht, alle Kinder zu fördern. Das zeigen schon die Kürzungen bei der Migrationsarbeit und seine Bildungspolitik.



Abendblatt:

Hat die parteiinterne Debatte vor der Wahl um Schwarz-Grün in Hamburg ge schadet?

Künast:

Die Diskussion hat zur Verwirrung beigetragen, weil die Partei für etwas anderes, nämlich für Rot-Grün gekämpft hat. Doch jetzt haben die Wähler entschieden und damit muss sich jeder auseinandersetzen. Grundsätzlich aber gilt: Grüne wollen grüne Politik realisieren.



Abendblatt:

Was für Schlüsse ziehen Sie aus der Abwanderungsbilanz in Hamburg. Die Grünen haben 10.000 Wähler an die SPD, 6.000 an die Linke und 15.000 als Nichtwähler verloren.

Künast:

Ich mache mir besonders Gedanken um die Nichtwähler und frage mich, warum wir nicht stärker mobilisieren konnten. Wir müssen mehr Begeisterung auslösen auch in Hinblick auf die Bundestagswahl. Wir müssen in diesem Jahr noch schärfer zeigen, wofür wir stehen und uns von den anderen Parteien abgrenzen. Es reden ja viele über Umwelt- und Klimaschutz, aber was Merkel und Gabriel in Brüssel veranstalten, ist nichts als Show: Erst tun sie so, als wären sie die Retter des Weltklimas, aber auf EU-Ebene kämpfen sie gegen fast alle ökologisch sinnvollen Vorschläge, vom Thema Auto bis hin zu den Energiekonzernen. Beim Thema Biosprit haben sie eine Regelung gefunden, die die hiesigen Anbauer in die Insolvenz treibt mit dem Ergebnis, dass die Mineralölkonzerne jetzt Palmöl aus Indonesien beimischen. Das kann doch nicht die Lösung sein.



Abendblatt:

Bereitet Ihnen die Abwanderung zur Linken Sorge?

Künast:

Ich will überhaupt keine Stimmen verlieren! Jetzt, da die Linke auch im Westen in den Landtagen präsent ist, werden wir die Auseinandersetzung auch dort mit ihnen schärfer führen. Das heißt: ihre Politik genau prüfen - und dann entzaubern, indem man aufzeigt, was diese konkret bedeutet. Im Rot-Rot regierten Berlin sind die Sozialtickets 63 Prozent teurer geworden. Klaus Wowereit hat mit Unterstützung der linken Senatoren durchgesetzt, dass es im öffentlichen Dienst für alle, die vor 2005 eingestellt wurden, keine Tarifverhandlungen gibt. Und die angestellten Lehrer haben überhaupt keine Tarifverträge. Die Linke geriert sich gern radikal links - aber da, wo sie regieren, sind sie nur einen Millimeter klein mit Hut. Da können wir Grünen soziale Politik einfach besser!