Die meisten der leitenden Beamten, die ab 1951 die Behörde aufbauten, hatten vergleichbare Posten schon unter den Nazis bekleidet.

Hamburg. Mit großen Worten verabschiedete Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher einen seiner wichtigsten Polizisten 1971 in den Ruhestand. Er sei "ein Vorbild für die gesamte deutsche Polizei", gab er Paul Dickopf, dem "Architekten" und späteren Präsidenten des Bundeskriminalamtes (BKA), mit auf den Weg. In Meckenheim bei Bonn, wo eine Außenstelle des BKA sitzt, gibt es bis heute eine Paul-Dickopf-Straße.

Sehr viel Ehre für einen offenbar glühenden Nationalsozialisten und Absolventen der SS-Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin-Charlottenburg 1939. Sehr viel Lob für einen Mann, der auch 1948 noch die Kriminalpolizei der NS-Zeit als Vorbild für einen künftigen deutschen Polizeiapparat sah. Wie viel von diesem braunen Geist haben Dickopf und seine Vertrauten dem BKA damals eingepflanzt?

An die Aufarbeitung dieser heiklen Frage trauen sich die Kriminalisten jetzt erstmals heran - nach jahrzehntelangem Vertuschen und Verschweigen. Der amtierende BKA-Chef Jörg Ziercke hat ein dreiteiliges wissenschaftliches Kolloquium einberufen. "Nur durch die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit können wir unsere Zukunft verantwortungsvoll gestalten", sagte er bei der Eröffnung. Wie heiß das Eisen ist, erkannte er schon im Vorfeld. Kontrovers und emotional seien die Diskussionen gewesen, sagte er, begleitet von Widerständen, Ängsten, aber auch Erwartungen.

Ziercke will vor allem diese Fragen geklärt haben: "Wer waren unsere Gründungsväter? Wer waren diese Leute, die in der Polizei während des nationalsozialistischen Regimes und dann im 1951 neu gegründeten Bundeskriminalamt arbeiteten? Welche Rolle spielten diese Wiedereingestellten?"

Es gebe gesicherte Hinweise darauf, dass "Cliquen und Seilschaften, die während der NS-Zeit entstanden waren, auch nach dem Krieg zusammenhielten und sich bei der Wiedereinstellung in die Polizei" halfen. Einer, der hauptsächlich zu diesen Erkenntnissen bisher beigetragen hat, ist der ehemalige Kriminaldirektor Dieter Schenk.

Der Autor des Buches "Die braunen Wurzeln des BKA" listete in seinem Vortrag beim BKA in erschreckender Fülle Namen von BKA-Mitarbeitern der ersten Stunde mit schauriger NS-Vergangenheit auf. Eine Vergangenheit, in der die Polizei als Stütze des Nazi-Regimes "schwere Schuld auf sich geladen hat", wie auch Ziercke sagte. Zur Verschmelzung von Polizei und Nazi-Ideologie wurde 1939 das Reichssicherheitshauptamt gegründet, dem Polizei und SS unterstanden. Polizisten waren an der Judenvernichtung, an Deportationen und Exekutionen beteiligt. Kriminalprävention wurde dem "nationalsozialistischen Denken und seiner Rassenpolitik angepasst". Noch Ende der 50er-Jahre waren Ziercke zufolge fast alle leitenden BKA-Positionen mit ehemaligen Nazis besetzt.

Für Schenk ist die Entwicklung des BKA untrennbar verbunden mit den Namen von Dickopf, dessen Freund und späterem Vertreter Rolf Holle sowie Dr. Bernhard Niggemeyer, der das Kriminalistische Institut des BKA aufbaute und leitete. Die drei standen an der Spitze von etwa 50 leitenden Beamten, "die so gut wie alle ihre beruflichen Wurzeln in der Sicherheitspolizei Himmlers und Heydrichs" hatten. "Diese Männer hätten niemals in ihren Beruf zurückkehren dürfen", sagte Schenk.

Dickopf, der nach Schenks Nachforschungen während des Krieges als Doppelagent in der Schweiz lebte, diente sich mit Untergang des Dritten Reiches dem US-Geheimdienst als Agent an. Offenbar so überzeugend, dass die Amerikaner ihm den Aufbau der Kriminalpolizei im Nachkriegsdeutschland anvertrauten. 1949 wurde er als Kriminalkommissar im Bundesinnenministerium eingestellt. "Um seine NS-Karriere zu kaschieren, war er gezwungen, die Bewerbungsunterlagen mehrfach zu ändern", sagte Schenk.

Rolf Holle war ein alter Freund von Dickopf, ein "Charlottenburger", benannt nach einer Seilschaft, die sich aus einem Kriminalkommissar-Anwärterlehrgang an der SS-Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin-Charlottenburg rekrutierte. Diese Verbindungen hielten lebenslang. 24 "Charlottenburger" gehörten zur ersten Generation der BKA-Mitarbeiter. Holle hatte es zum mehrfach ausgezeichneten SS-Hauptsturmführer gebracht. Verbrechen von ihm seien nicht bekannt, so Schenk.

Ganz anders bei Bernhard Niggemeyer, dem als Leitender Feldpolizeidirektor in der Heeresgruppe Mitte in Russland zwölf Gruppen unterstanden. Exekutionen von Verdächtigen durch die Gruppen sind belegt. Schenk beruft sich auf Papiere, die zeigen, dass unter Niggemeyers Befehl noch auf dem Rückzug 1944 insgesamt 675 Menschen exekutiert wurden. Niggemeyer selbst behauptete, keine Befehlsgewalt gehabt zu haben. Später wurde er über das BKA hinaus bekannt als Veranstalter und Moderator der jährlichen internationalen BKA-Herbsttagung.

Als 1951 Mitarbeiter für das neue BKA gesucht wurden, bewarben sich 8000 Personen aus dem Kreis der ehemaligen Sicherheitspolizei, so Schenk. Auf eine Ausschreibung verzichtete das Innenministerium: Man wollte Experten, mit welcher Vergangenheit auch immer. Die Alliierten trugen dies mit. So konnte Dickopf die Mitarbeiter teilweise wieder auf ihre alten Positionen setzen - nach dem Motto: Was soll damals schlecht gewesen sein?

Schenk listet auf: "Der Chef-Biologe des Reichskriminalpolizeiamtes, Dr. Otto Martin; der Chef der Urkunden-Abteilung, Rudolf Mally; der Chef-Techniker der Reichskriminalpolizei, Heinrich Becker; der Chef der Personenfeststellungszentrale und der Fingerabdrucksammlung, Heinz Drescher - sie alle wurden Referats- oder Abteilungsleiter des BKA in ihrem alten Sachgebiet." Der Chef-Fahnder der NS-Kripo, Kurt Amend, wurde Chef-Fahnder des BKA. Er dürfte, so Schenk, "Hunderttausende auf dem Gewissen" gehabt haben.

Doch nicht nur das Personal, auch große Teile der Organisation wurden übernommen. Dickopf baute, so Schenk, das BKA nach dem Vorbild des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA) - der Abteilung V des Reichssicherheitshauptamtes, in dem Himmler SS und Polizei zusammenführte - auf. Rolf Holle schrieb demnach die alten Richtlinien etwa über Fahndung, Meldedienst und Rauschgift- und Falschgeldbekämpfung weitgehend ab. Die Formulare waren teilweise identisch. Nur die NS-Ideologie musste ausgeklammert werden. Es wurde nicht mehr von "ausmerzen", sondern von "unschädlich" machen gesprochen. Und aus dem "Zigeunerunwesen" wurde eine "Landfahrerplage".

Das änderte aber offenbar nichts an der Nazi-Einstellung etwa eines Dr. Josef Ochs, einst Jurist im RKPA und auch für die Einweisung von Sinti in Konzentrationslager zuständig. Schenk zitiert ihn als BKA-Referatsleiter noch aus dem Jahr 1954 mit den Worten, dass der übliche Meldedienst bei diesem "notorischen Verbrechertyp versagt". Dickopfs ständige Redewendung sei gewesen: "Wie haben die das früher gemacht?" Amtsintern wurde offenbar sogar geduldet, dass alte Visitenkarten aus der Nazi-Zeit noch aufgebraucht wurden.

Dickopf selbst hinderte seine SS-Vergangenheit immerhin daran, nicht sofort BKA-Präsident zu werden, sondern zunächst Stellvertreter. Erst 1965 kam er auf den Chefsessel. "Duckmäusertum und Wagenburgverhalten, Cliquenbildung und Postenschacher, Bewahrung des Herrschaftswissens und kleinkarierter Bürokratismus", waren laut Schenk, der selbst von 1980 bis 1988 im BKA arbeitete, das Ergebnis der "Herrschaft der Charlottenburger". Dies wurde erst durch Dickopfs Nachfolger Horst Herold aufgebrochen, der das BKA in den Hochzeiten des RAF-Terrorismus führte und modernisierte. Die "Charlottenburger" hätten dem Amt Schaden zugefügt, so Schenk. Wie viel, das könne nun erforscht werden.