Bonner Professor Löwer glaubt, dass ein Minister und Kampfpiloten straffrei bleiben könnten.

Hamburg. Jurastudenten kennen die Übung wohl alle. Sie werden mit dem Gedankenexperiment des griechischen Philosophen Karneades konfrontiert: Zwei Schiffbrüchige versuchen, die rettende Planke zu erreichen. Doch dort ist nur Platz für einen von ihnen. So stößt der eine den anderen zurück ins Wasser und rettet durch dessen Tod sein eigenes Leben. Hat er getötet oder in einem übergesetzlichen Notstand gehandelt? Diese Frage bewegt die Juristen seit der Antike.

Auf diesen Notstand beruft sich nun auch Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Sollte ein Passagierflugzeug von Terroristen wie bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auch in Deutschland als Waffe genutzt werden, würde er auf dieser Grundlage einen Abschussbefehl geben. Das Luftsicherheitsgesetz, das genau diese Situation regeln sollte, war vom Bundesverfassungsgericht von einem Jahr verworfen worden.

Es hat gleichzeitig so hohe Hürden aufgebaut, dass eine Neuregelung auch nach Meinung des Bonner Verfassungsrechtlers Professor Dr. Wolfgang Löwer unmöglich ist. Die Verfassungshüter hatten der Bundeswehr nicht nur das Recht auf diesen Einsatz im Inneren abgesprochen, sondern - was noch viel schwerer wiegt - die Ablehnung auch mit den unantastbaren Artikeln 1 und 2 des Grundgesetzes verknüpft. Demnach würde der Abschuss eines Flugzeugs gegen die Menschenwürde und das Recht auf Freiheit der Passagiere verstoßen. Der Staat dürfe sie in dieser ausweglosen Situation nicht als "bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutz anderer" behandeln, heißt es in dem Urteil.

"Das löst aber nicht die Konfliktsituation", sagt Verfassungsrechtler Löwer. Dabei gebe es in Artikel 2 des Grundgesetzes, der das Leben schützt, durchaus eine Einschränkung. Dort heißt es: "In diese Rechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden." Dadurch ist auch der "finale Rettungsschuss" erlaubt, mit dem ein potenzieller Mörder getötet werden kann, um Menschen zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch jede Abwägung von Leben gegen Leben ausgeschlossen.

Löwer nennt das "ein Stück Wirklichkeitsverweigerung", erkennt aber auch den ernsten Hintergrund dafür: "Man kann bis zuletzt nicht sicher sein, ob die Terroristen ihre Bombendrohungen wirklich wahr machen oder ob die Passagiere die Terroristen vielleicht selbst noch überwältigen können."

Deshalb sieht er vorher: Sollte der Fall eintreten, dass der Verteidigungsminister mit einem hohen Grad an Sicherheit einen Terrorangriff mit einem entführten Flugzeug vorhersehen kann und er den Befehl zum Abschuss gibt, wird er sich hinterher dem Vorwurf stellen müssen, ein Tötungsdelikt begangen zu haben.

"Das ist vorsätzlich und rechtswidrig, aber ist es auch schuldhaft?", fragt Löwer. Er glaubt, dass bei plausibler Begründung eine Verurteilung aufgrund des übergesetzlichen Notstandes für den verantwortlichen Minister und die Piloten nicht erfolgen würde. Genau diesen Weg schließe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil auch nicht aus.