Nur freiwillige Regelungen: “Das ist kein Kompromiss!“ Aber Einigung bei der Pflege. In Deutschland wird es auf absehbare Zeit keinen einheitlichen Mindestlohn geben. Die Union hat sich in einer dramatischen Nachtsitzung gegen die SPD durchgesetzt, die eine flächendeckende Lohnuntergrenze gefordert hatte.

Berlin. In Deutschland wird es auf absehbare Zeit keinen einheitlichen Mindestlohn geben. Die Union hat sich in einer dramatischen Nachtsitzung gegen die SPD durchgesetzt, die eine flächendeckende Lohnuntergrenze gefordert hatte.

CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer sprach von der bislang "härtesten Verhandlungsnacht" der Großen Koalition. Im achten Stock des Kanzleramts sollen ein rauer Umgangston und sogar Eiseskälte geherrscht haben. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD): "Ein paar Ausrutscher von Lautstärke hat's gegeben. Da war ich wohl auch mal bei." An dem Verhandlungsergebnis selbst ließ Müntefering gestern kaum ein gutes Haar: "Es ist aus meiner Sicht kein Kompromiss!"

Die Koalitionsspitzen hatten sich in der siebenstündigen Sitzung am Ende nur darauf verständigt, dass weitere, überwiegend tarifgebundene Branchen über das Arbeitnehmerentsendegesetz einen tariflich vereinbarten Mindestlohn für alle Betriebe festschreiben lassen können - aber eben auf freiwilliger Basis. Für Arbeitnehmer, die nicht durch das Entsendegesetz geschützt werden, soll das Mindestarbeitsbedingungen-Gesetz von 1952 aktualisiert werden. Mindestlöhne könnten dann auch in Branchen festgesetzt werden, in denen es Tarifverträge nur für eine Minderheit gibt. Das Verfahren ist jedoch kompliziert.

Für die SPD berücksichtigt diese Vereinbarung ihre Forderungen nur eingeschränkt. Laut Teilnehmern sollen Unionsvertreter in der Nachtsitzung das Arbeitspapier Münteferings so zerpflückt haben, dass dieser "die Fassung verlor". Noch Stunden später ließ der Vizekanzler seiner Enttäuschung freien Lauf. Ohne sie beim Namen zu nennen, machte er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verantwortlich. "Ich habe nicht das Gefühl, dass man das Problem wirklich lösen will, sondern dass man es möglichst geräuschlos aus dem Verkehr ziehen will", sagte er. Dann erklärte er der CDU/CSU den Kampf: "Die Lehre daraus ist, dass man den Mindestlohn nicht mit der Union machen kann, sondern gegen sie machen muss." Spätestens 2009 könne der Wähler darüber entscheiden.

Wenig Ärger bereitete die Pflegereform. Die Koalition beschloss eine Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung um 0,25 Prozentpunkte, um damit die Leistungserweiterung bei Demenzkranken und ambulanter Pflege zu finanzieren. Dafür wird der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Punkte gesenkt.

Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD): "Die Weigerung der Union, über Sittenwidrigkeit von Löhnen zu verhandeln, hat bei mir Empörung und Zorn ausgelöst. Was ist das für eine Moral?"

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU): "Die Tarifparteien werden gestärkt. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Wir können trotzdem sicherstellen, dass Lohndumping nicht stattfindet."

Olaf Scholz, SPD-Fraktionsgeschäftsführer: "Dass sich die Union weigert, die bittere Lage der von sittenwidrigen Löhnen Betroffenen zu verbessern, verstehen viele in der SPD nicht."