“Zwischen mir und Frau Merkel funktioniert das richtig gut“, sagt der oberste Sozialdemokrat. Aber der dritte Koalitionspartner bereitet ihm durchaus Sorgen.

ABENDBLATT: Herr Beck, als Sie im Mai 2006 SPD-Vorsitzender wurden, lag Ihre Partei in Umfragen bei 27 Prozent. Heute dümpelt sie immer noch bei 27 Prozent. Schmerzt Sie das?

KURT BECK: Na, na, na, wir sollten diesen Umfragen nicht immer glauben! In anderen Umfragen liegen wir dicht bei der Union. Natürlich ist das immer noch zu wenig. Ich bin da gelassen, wir stehen nicht vor einer Wahl.

ABENDBLATT: Die Union hat es derzeit besonders schwer. Wie haben Sie Stoibers Rückzug erlebt?

BECK: Wir haben schon seit vielen Jahren persönlich ein gutes Verhältnis. Aber Stoibers Reaktion auf die Anschuldigungen von Frau Pauli waren ein Indiz, dass die Dinge in der CSU auseinanderlaufen.

ABENDBLATT: Welche Rolle darf das Privatleben eines Politikers Ihrer Ansicht nach spielen?

BECK: Das Private muss der Öffentlichkeit zugänglich sein, wenn es einen Bezug zur Aufgabe hat. Aber ob Herr Seehofer eine Freundin hat oder nicht, geht außer seiner Familie niemanden etwas an. Das Ganze halte ich für eine Sauerei, zumal wenn es von Parteifreunden den Medien zugespielt worden wäre. In anderen Ländern mag das vielleicht normal sein. Wir sollten in Deutschland aber weiterhin eine andere Kultur pflegen. Auch ein Politiker muss eine Privatsphäre haben.

ABENDBLATT: Was für Auswirkungen haben die Entwicklungen in der CSU auf die Arbeit der Koalition?

BECK: Wenn Sie drei Partner am Tisch haben, brauchen Sie eine verlässliche Vertrauensbasis, mit der man auch mal gordische Knoten durchschlagen kann. Das funktioniert zwischen mir und Frau Merkel wirklich gut. Wenn man vom dritten Partner aber nicht weiß, ob er noch dabei ist, wenn das Vorhaben entscheidungsreif ist, dann wird es schwierig. Und man weiß nicht, wie Stoibers Nachfolger agieren wird. Es ist leichter, mit einem starken Partner zu verhandeln, als mit einem, der immer rückwärts auf die Partei schielt.

ABENDBLATT: Die Reform des Niedriglohn-Sektors ist das nächste heikle Thema. Die Union lehnt einen gesetzlichen Mindestlohn strikt ab. Wofür treten Sie denn ein?

BECK: Meine Lieblingsvariante wäre, dass wir in so vielen Bereichen wie möglich tarifvertragliche Regelungen hätten. Und dort, wo es keine Tarifparteien gibt, haben wir beispielsweise mit dem Entsendegesetz schon heute die Instrumente, die eine untere Absicherung schaffen würden.

ABENDBLATT: An welche Branchen denken Sie dabei?

BECK: Für das Bau- und das Reinigungsgewerbe haben wir eine solche Regelung ja erreicht. Wichtig ist es auch für die Leiharbeit. Auch im Bewachungsgewerbe, im Bereich von privaten Dienstleistungen - beispielsweise bei der Pflegeunterstützung - brauchen wir Lösungen. Diese Leute sollen einen anständigen Lohn haben. Auch im Bereich der landwirtschaftlichen Hilfskräfte wäre so etwas möglich.

ABENDBLATT: Sie sind also nicht für einen flächendeckenden Mindestlohn?

BECK: Das, was ich angesprochen habe, sind die Berufsgruppen, die am stärksten betroffen sind. Wenn wir bestimmte Bereiche nicht erreichen können, dann will ich gesetzliche Regelungen erreichen.

ABENDBLATT: Mit dem beschrittenen Weg sind die Tage der Dumpinglöhne für Zimmermädchen gezählt?

BECK: Ja, wenn das Reinigungspersonal im Hotel vom Tarifvertrag abgedeckt ist. Wenn der Chef aber aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten ist, dann müssen wir über das Instrument der Allgemeinverbindlichkeit reden.

ABENDBLATT: Kommen wir zu einem noch viel ernsteren Thema: Belastet die Diskussion um Außenminister Steinmeier die SPD?

BECK: Es ist immer eine Herausforderung, wenn man eine solche Diskussion zu bestehen hat, wenn tausend andere Themen auf der Tagesordnung stehen. Ich sage Ihnen in aller Klarheit: ich kenne nicht die Aktenlage, das ist auch nicht mein Job, vieles davon ist geheim - aber ich weiß um die Art, wie Frank-Walter Steinmeier seine Amtsführung macht, wir kennen uns viele Jahre. Ich habe keinen Zweifel, dass er keinen Moment leichtfertig mit dem Thema Menschenrechte umgehen würde.

ABENDBLATT: Die Kritik hält aber unvermindert an.

BECK: Das Ganze hat sich abgespielt ein knappes Jahr nach den schrecklichen Anschlägen in den USA, in einer Zeit, in der wir auch in Deutschland den internationalen Terrorismus bekämpft haben. Und dies auch weiterhin tun. Und zwar zu Recht, wie sich dann rausgestellt hat. Das dürfen wir nicht außer Acht lassen bei der Beurteilung des Sachverhalts.

ABENDBLATT: Was muss geschehen?

BECK: Das, was aufzuklären ist, muss aufgeklärt werden, das gehört sich in einem Rechtsstaat so. Aber das, was da einige, zum Beispiel Herr Westerwelle, von sich geben, ist doch sehr leichtfertig. Ich hätte mal sehen wollen, wie etwa ein Mann wie Hans-Dietrich Genscher mit der Situation umgegangen wäre.

ABENDBLATT: Die Diskussion läuft ja schon ein Dreivierteljahr. Hätte Steinmeier nicht früher und etwas entschiedener sagen müssen: So und so war es!? Und kann man jetzt mit einer Aussage vor dem Untersuchungsausschuss noch vier Wochen warten?

BECK: Erstens: Frank-Walter Steinmeier hat die Dinge bereits grundsätzlich dargelegt. Zweitens: Wer wann vorgeladen wird, bestimmt der Untersuchungsausschuss. Das Außenamt hat gebeten, dass er schnellstmöglich aussagen kann. Bis dahin hat er gesagt, was er sagen kann.

ABENDBLATT: Ein weiteres heikles Thema ist der Einsatz von Luftwaffen-Tornados in Südafghanistan. Kann man mit einer Fraktion, in der manche dafür eintreten, dass die Aufklärungsinformationen nicht direkt an Kampfeinheiten der Nato-Partner weitergegeben werden, Außenpolitik machen?

BECK: Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den vergangenen Jahren alle außenpolitischen Entscheidungen, und das waren sehr schwierige, immer mit großer Umsicht und Verantwortung getroffen. Es geht darum, in Afghanistan vor allem durch Aufbauhilfe eine echte Befriedung zu erreichen, wie es die Bundeswehr im Norden sehr erfolgreich tut. Andererseits müssen wir bedenken, dass besonders die Kanadier einen hohen Preis zahlen. Und wenn wir helfen können, zum Beispiel Hinterhalte zu erkennen, dann sollten wir das auch tun. Das Ziel lautet: politische Stabilität, Wiederaufbau und humanitäre Hilfe.

ABENDBLATT: Verbirgt sich hinter dem Tornadoeinsatz im Süden nicht auch die Hoffnung, dass Deutschland so um den Einsatz von Truppen dort herumkommt?

BECK: Ich glaube, dass wir mit der Aufgabenteilung unseren Beitrag leisten. Die Aktivitäten in Afghanistan zeigen bereits beachtliche Erfolge: Seit 2001 sind 4,5 Millionen Flüchtlinge nach Afghanistan zurückgekehrt. Das Pro-Kopf-Einkommen hat sich verdoppelt und drei Viertel der Bevölkerung haben Zugang zur Gesundheitsversorgung. 2001 waren es nur neun Prozent. Auch das zeigt: Eine rein militärische Lösung wird in Afghanistan nicht zum Erfolg führen.

ABENDBLATT: Hamburgs Bürgermeister von Beust fordert, die bürgerlichen Parteien sollten sich aus Klimaschutzgründen einem generellen Tempolimit auf Autobahnen nicht verschließen. Wie sehen Sie das?

BECK: Ich war nie einer, der noch mehr Tempolimits das Wort geredet hat. Meines Wissens gibt es derzeit bereits auf mehr als 90 Prozent der deutschen Straßen Geschwindigkeitsbeschränkungen. Ob jemand mit der Erfahrung eines Stadtstaates am besten geeignet ist, darüber zu diskutieren, lasse ich mal dahingestellt. Wir sollten angesichts der CO2-Problematik und der Energiefrage besser auf unsere hochwertigen Technologien setzen als auf Verzichtsstrategien. Dass die Autoindustrie beim Umweltschutz noch ein Stück nachziehen muss, steht außer Frage.

ABENDBLATT: Wenn die Autohersteller ihrer Selbstverpflichtung weiter nicht nachkommen, muss dann eine gesetzliche Regelung her?

BECK: Ich schließe es nicht aus, dass wir auch auf der europäischen Ebene eine Regelung finden könnten. Am Mittwoch treffe ich EU-Kommissionschef Jose Manuel Barroso. Ziel ist, umweltpolitisch vernünftige Schritte zu gehen, aber dabei nicht den internationalen Wettbewerb aus den Augen zu verlieren. Am liebsten wäre mir aber, wenn die Hersteller freiwillig etwas täten.

ABENDBLATT: Die Union rüttelt gleichzeitig weiter am Atomausstieg, eine der heiligen Kühe der SPD.

BECK: Der Atomausstieg gründet sich auf eine Vereinbarung der deutschen Wirtschaft mit der Politik. Das wird gern vergessen bei einigen Leuten. Fest steht: Die Kernenergie ist ohne Frage die risikoreichste Energie. Wenn die jüngsten Vorfälle im schwedischen Reaktor Forsmark II anders ausgegangen wären, würden wir heute völlig anders darüber reden. Darüber hinaus steht Deutschland auch hier der notwendige Rohstoff nicht zur Verfügung: Uran kommt in genauso politisch prekären Ländern vor wie Öl und Gas. Und auch die Endlagerproblematik ist noch lange nicht gelöst. Wann immer wir versuchen, das Thema auf die Tagesordnung zu setzen, dann ist das, als wollte man mit der bloßen Hand Forellen fangen. So schnell sind die alle weg.

ABENDBLATT: Sind Sie für ein Endlager in Gorleben?

BECK: Es muss ja nicht immer Niedersachsen sein. Ich lade die großen Atombefürworter ein, einmal zu schauen, wie das in ihren Bundesländern ist. Ich halte es auch für denkbar, wenn man hier in einer vernünftigen und abgesicherten Form auch nach europäischen Lösungen suchen würde.

ABENDBLATT: Herr Beck, was hat Sie - seit Sie als SPD-Bundesvorsitzender häufig in die Hauptstadt reisen müssen - am meisten überrascht im Berliner Politikbetrieb?

BECK: Die Aufgeregtheiten sind noch größer, als ich es erwartet habe. Da weiß man nicht, wer aufgeregter ist: die Politiker oder die Journalisten. Das Normalste der Welt wird auf einmal zur Sensation.

ABENDBLATT: Wirkt das auf Sie eher abschreckend oder eher anfeuernd?

BECK: Abschreckend nicht gerade, aber manchmal nicht der Sache dienlich. Wenn ich jetzt sage, Ruhe und Gelassenheit, dann heißt es wieder, der Beck ist wie der Schröder, Häuptling der ruhigen Hand. Auch Gerhard Schröder hat damals nicht das Ende der Reformen ausgerufen. Im Gegenteil. Ein bisschen mehr Gelassenheit würde der Sache aber schon dienen.