Am Morgen nach der Entscheidung der Berliner SPD, sich nicht länger querzulegen und eine Ehrenbürgerschaft Wolf Biermanns zu unter- stützen, sprach der Liedermacher in seiner Hamburger Wohnung mit dem Hamburger Abendblatt.

ABENDBLATT: Hätten Sie es sich in Ihrer Chausseestraßen-Zeit je träumen lassen, dass viele Jahre später die DDR-Größen Pieck, Ulbricht und Honecker aus der Berliner Ehrenbürger-Liste hinausgeworfen sind und stattdessen nun ausgerechnet der freche Wolf Biermann zum Ehrenbürger gemacht werden soll?

WOLF BIERMANN: Ich hatte andere Träume. Weder träumte ich, dass irgendjemand aus dieser Liste rausfliegt noch, dass ich da jemals reinkomme. Die Wahrheit ist: Ich wusste gar nicht, dass es das gibt.

ABENDBLATT: Ihr Leben oszilliert ja jetzt um diese Pole Berlin und Hamburg. Im Augenblick ist Hamburg und eben nicht Berlin Ihr Lebensmittelpunkt. Welche Bedeutung hat denn Berlin für Sie, und was macht den Unterschied zu Ihren Gefühlen für Hamburg aus?

BIERMANN: Wenn ich in Berlin über die Friedrichstraße laufe, kann ich keine 20 Meter gehen, ohne dass mir ein alter Feind über den Weg läuft oder ein alter Freund, der an mir zottelt. In Hamburg auf der Mönckebergstraße sehen mich Leute, die mich mit Biermann verwechseln. Aber die sagen dann eben nur hanseatisch reserviert: "Ach, der Biermann . . ." Wenn ich dagegen in Berlin bin, zittert mir das Herz. Um es gradheraus zu sagen: Die Ehrenbürgerschaft von Hamburg hätte ich nicht verdient. Als ich die Idee am Dienstag in Ihrer Zeitung las, dachte ich zum ersten Mal darüber nach. Und kam sehr schnell zum Ergebnis: Ich verdanke meiner Vaterstadt Hamburg mehr als sie mir.

ABENDBLATT: Und wie ist das mit der Ehre in Berlin?

BIERMANN: Ich möchte in dieser Phase nicht so gern über Berlin sprechen. Es ist noch nicht raus, ob meine treuen Feinde in Berlin es nicht doch noch schaffen, meine treuen Freunde übern Tisch zu ziehen. Warten wir's ab. Das Ganze ist ja ein politisches Lehrstück.

ABENDBLATT: Was wäre Ihnen denn wichtig daran, in der deutschen Hauptstadt Ehrenbürger zu werden?

BIERMANN: Als ich den Georg-Büchner-Literaturpreis kriegte, musste mir keiner stundenlang erklären, wem ich das verdanke. Nur einem einzigen Menschen: mir selbst. So eine politische Ehrung aber ist immer auch ein Signal im Streit der Welt, in der wir alle nur kleinere oder größere Figuren sind. Ich bin als Person ja nur der Vorwand, im Grunde geht es um die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte - um die Frage, ob wir das Wort "Wiedervereinigung" nur mit "i" schreiben wie Günter Grass oder mit "ie" wie Wolf Biermann.

ABENDBLATT: Es sieht ja schon ein bisschen verrückt aus: Die CDU beantragt gemeinsam mit den Grünen und der FDP Ihre Ehrenbürgerschaft. Die Berliner SPD, allen vorweg der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Abgeordnetenhaus-Präsident Walter Momper waren bis Dienstagabend dagegen. Und Kulturstaatsminister Bernd Neumann von der CDU lädt Sie demonstrativ ins Kanzleramt ein. Was ist denn da passiert?

BIERMANN: Das zeigt, dass wir in einer funktionierenden Demokratie leben, dass die Menschen es schaffen, aus den Kisten, in denen sie sitzen, herauszuklettern.

ABENDBLATT: Nach vorn, aber auch nach hinten . . .

BIERMANN: Ja, ja. Wir alle denken in Schubladen, aber wir müssen gleichzeitig unter dem Eindruck neuer Erkenntnisse die Kraft haben, den Verstand und den Mut, gelegentlich aus diesen Schubladen auszubrechen. Und das macht die Lebendigkeit einer Gesellschaft aus.

ABENDBLATT: Die SPD ist jetzt aus der Schublade herausgeklettert und will Sie jetzt doch zum Ehrenbürger machen.

BIERMANN: Ist doch prima. Da kann man sie nur beglückwünschen, dass sie die Kraft hatten, sich zu korrigieren. Die einen immerhin aus Einsicht.

ABENDBLATT: Und die Linkspartei? Die ist doch wenigstens in ihrer Ablehnung ehrlich.

BIERMANN: Im moralischen Sinne haben die sich absolut tadellos verhalten. Sie sind bei ihrer reaktionären Haltung geblieben.

ABENDBLATT: Woran liegt es, dass immer wieder Ihre Person den Anlass dazu gibt, dass sich Partei- und Richtungsloyalität und selbstständiges Denken so schön ineinander verbeißen?

BIERMANN: Also, in gutem falschen Deutsch würde ich sagen: Das ist den Dichter sein Sinn. Als Hamburger Fischkopf, der ich ja bin, würd ich so was sagen. Wozu bin ich denn da? Ich bin dazu da, um gute Gedichte zu schreiben, gute Lieder zu singen. Was heißt das konkret? Wenn ich mich nützlich machen und Ihnen ein gutes Gedicht liefern will, dann werde ich Ihnen nicht zeigen, wie die Welt ist, in der wir beide leben, die wir erleben, erleiden und genießen. Sondern ich werde Ihnen zeigen, wie diese Welt auf mein Gemüt wirkt. Welche Gedanken und Gefühle und Haltungen sie in mir hervorbringt oder schärft. Wie sie auf mich wirkt.

Und wenn ich das gut schaffe in einem Gedicht, dann haben Sie den Vorteil davon, dass Sie vergleichen können mit sich selbst, also mit dem Menschen, den Sie am wenigsten kennen und der Sie am allermeisten interessieren muss - dazu sind wir alle verurteilt. Und jetzt können Sie anhand des Gedichtes vergleichen und sagen: Ja, ich auch - eine Bestätigung Ihrer eigenen Wahrnehmung und Gedanken. Und Sie können sagen: Nein, ich gar nicht! Ich sogar ganz entgegengesetzt! Oder: Ich auch, früher. Oder: Ich auch, vielleicht.

Wenn ich Ihnen mithilfe eines Gedichts dazu verhelfe, mache ich mich für Sie nützlich im ewigen Freiheitskrieg der Menschheit, wie Heine das nennt. In diesem Freiheitskrieg gibt es immer Menschen, die deutlicher als andere für bestimmte Positionen stehen - und die sind sehr nützlich, wie Bojen, an denen man sich orientieren kann. Meine Ausbürgerung und die Debatte danach war in der DDR wie ein Lackmus-Test, mit dem man Säuren und Basen unterscheiden konnte. Das ist im politischen Bereich sehr praktisch.

ABENDBLATT: Sie haben während der ganzen Ehrenbürger-Debatte eisern geschwiegen. Was gerade Ihnen vermutlich ziemlich schwer gefallen ist . . .

BIERMANN: Nö. Das denken Sie, weil ich so gerne rede.

ABENDBLATT: Warum haben Sie geschwiegen?

BIERMANN: Ich hab auch das Schweigen gelernt, sonst könnte ich keine Gedichte schreiben. Was liefere ich denn darin? Das, was ich von den Menschen, mit denen ich lebe, ablerne. Und ablernen kann man nur, wenn man den Mund hält.

ABENDBLATT: Und hier? Haben Sie geschwiegen, um die Ehrung nicht zu gefährden oder um die Debatte darum sich erst mal so richtig entfalten zu lassen?

BIERMANN: Im politischen Sinn konnte der Ausgang nur gut sein. So oder so. Auch eine Ablehnung wäre ein mehr unfreiwilliger Akt der politischen Aufklärung geworden, und also gut.

ABENDBLATT: Es war dann fast schon selbstkritisch die Rede davon, dass die Debatte Sie als zu Ehrenden beschädigen würde.

BIERMANN: Das ist eine ganz besonders dümmliche Art der Heuchelei. Von Heuchelei verlange ich etwas mehr intelligente Eleganz.

ABENDBLATT: War denn die Debatte mal an einem Punkt, wo Sie dachten: Wenn das so läuft, brauch ich die ganze Ehre nicht mehr? Und können Sie sie nach dem ganzen Hickhack jetzt noch so richtig genießen?

BIERMANN: Was braucht der Mensch? Wenn man Ehrungen zu persönlich nimmt, wird man größenwahnsinnig. Man wird ja auch kleinmütig, wenn man die Verfolgungen zu persönlich nimmt. Ich kann sehr gut ohne die und die können sehr gut ohne mich leben. Im Ernst: Ich freu mich darüber, weil der ganze Streit ja auch eine Art Attacke ist in dem, was Heine den Freiheitskrieg nennt.

ABENDBLATT: Das ist ja auf den Weg gebracht worden von dem CDU-Kulturpolitiker Uwe Lehmann-Brauns.

BIERMANN: Und von der Grünen Marianne Birthler und dem SPD-Mann Wolfgang Thierse. Und das ist eine sehr gute Koalition.

ABENDBLATT: . . . denen man jetzt vorwirft, sie hätten sich nicht genügend im Vorfeld mit den anderen Parteien abgesprochen.

BIERMANN: Das stimmt nicht. Im "Spiegel online" wird dokumentiert, dass sich die Initiatoren schon 2003 sehr diskret an Wowereit gewandt haben. Abgesehen davon: Es ist doch eine Beschädigung der Demokratie, dass sogar die wirklich wichtigen, ernsten Entscheidungen - zu denen nun diese bestimmt nicht gehört - im Grunde nicht in offener Feldschlacht im Parlement im Streit der Ideen ausgekämpft werden, sondern ausgekungelt werden vorher in den Ausschüssen, wo man sich - eine Hand wäscht die andere - zusammenmauschelt. Das ist gefährlich für die politische Kultur des Landes.

ABENDBLATT: So eine Ehrenliste ist immer auch ein bisschen ungerecht. Der eine hat Glück und wird's, andere werden's nicht, weil sie keine Lobby haben, zur Unzeit leben oder vor der Zeit sterben. Wenn Sie selbst diese Würde mit jemandem teilen könnten - wem würden Sie einen Teil davon von Herzen gönnen?

BIERMANN: Was man noch gar nicht hat, kann man auch nicht teilen.

ABENDBLATT: Sie waren ja kürzlich erst in feiner Lederjacke beim Bundespräsidenten, um sich das Bundesverdienstkreuz umhängen zu lassen. Und es gab auch sonst viel Lob zum 70. Geburtstag. Haben Sie nicht manchmal Angst, dass Sie über so viel Lob zu milde werden könnten?

BIERMANN: Ich war immer milde. Und immer aggressiv. Immer beides. An dieser Ökonomie ändert sich nie etwas. Ich habe so viel Schläge von vorne und von hinten gekriegt, da können ein paar Streicheleinheiten mich überhaupt nicht verwirren.

ABENDBLATT: Wenn Sie denn Ehrenbürger sind, werden Sie sich dann öfter in Berlin einmischen?

BIERMANN: Das weiß ich nicht. Das kann ich nicht wissen. Aber eines interessiert mich brennend. Ich habe gelesen, dass eines der Privilegien der Ehrenbürgerschaft eine Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel Berlins ist. Was mich interessiert, ist, ob diese Jahreskarte auch für die Weiße Flotte gilt, die auf der Spree in Treptow hin- und herfährt ( lacht ).

ABENDBLATT: Sie kriegen ja auch das Berliner Amtsblatt, wenn Sie es wollen. Hätten Sie stattdessen nicht lieber Ihre Wohnung in der Chausseestraße 131 zurück?

BIERMANN: Na ja. In Zeitungen oder Amtsblättern kann man nicht wohnen. Und die Wohnung ist ja auch eine interessante Romanfigur geworden, weil es dem Spitzel der Staatssicherheit Hahnisch gelungen ist, sie zu erobern. ABENDBLATT: Wird er da jetzt von guten Geistern geplagt?

BIERMANN: Der war ja zur Strafe nach der Wende Pressesprecher der PDS; und jetzt ist er Feuilletonchef des "Neuen Deutschland" - ich finde, damit ist er genug gestraft.

ABENDBLATT: Eine letzte Frage, die sich bei einem so jungen 70-Jährigen eigentlich verbietet: Die Stadt Berlin würde dann ja auch für eine Ehrengrabstelle sorgen. Haben Sie mal drüber nachgedacht, in welche Nachbarschaft Sie sich damit begeben möchten?

BIERMANN: Ich hätte noch allerhand zu besprechen mit einem Mann, den ich sehr liebe und bewundere und dem ich viel verdanke: Das ist der Komponist Hanns Eisler, mein Meister.