Die schärfste Kritik an der Arbeit der Großen Koalition kommt aus SPD und Union selbst. Das wird auch bis 2009 so bleiben.

Berlin. Große Mehrheiten machen große Politik! Hatten wir das wirklich geglaubt? Damals im Herbst 2005, als Deutschland plötzlich eine Kanzlerin hatte? Bei allen noch so großen Mehrheiten darf man nicht aus den Augen verlieren, wo die politischen Ausgangspunkte der Großkoalitionäre waren. Denn die hätten unterschiedlicher kaum sein können. Frei nach dem bekannten Duett von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald ("Ei säi po-täi-to, ju säi po-tah-to") hörte sich der Start von CDU und Sozialdemokraten ungefähr so an: Wo die Union "Kopfpauschale" sagte, antwortete die SPD "Bürgerversicherung". Wo die SPD für Mindestlöhne warb, machten sich CDU/CSU für Kombilöhne stark. Einmal hieß es mehr, einmal weniger Staat. Nur vor der letzten Konsequenz des Duetts "Let's call the whole thing off" (Lass uns das Ganze absagen) schrecken die Koalitionäre bis heute zurück.

Die Bilanz nach einem Jahr Große Koalition ist also durchwachsen. Überwiegend positiv zu Buche schlagen die Einigung beim Elterngeld, die nahezu geräuschlose Vereinbarung der Eckpunkte der Unternehmenssteuerreform, die Absenkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, die unpopuläre, aber sinnvolle Einführung der Rente mit 67 sowie die staatlich moderierte Integrationsdebatte. Der Rahmen für die Teilprivatisierung der Bahn ist ebenfalls festgezurrt, bei der Haushaltssanierung kommt man aufgrund der positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklung besser voran als gedacht. Opposition im klassischen Sinne findet dieser Tage denn auch kaum statt. Zwar profitiert die FDP in den Umfragen leicht von der Schwäche der Großen. Aber faktisch steht man gemeinsam mit den Grünen marginalisiert am Spielfeldrand und bietet sich als Einwechselspieler an. Und die Linke gilt als Schmuddelkind, das alle meiden.

Dabei gäbe es durchaus Negativposten in der Bilanz - vor allem die Gesundheitsreform. Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD wohlweislich nur vage Vorgaben gemacht. Entstanden ist nun, in einem unsäglich chaotischen Verfahren, ein Werk, das keinen der Koalitionspartner wirklich befriedigt. Auch das Antidiskriminierungsgesetz gilt schon jetzt als Fehlschlag, der Deutschlands Gerichte mit einer Klagewelle überziehen dürfte.

Die viel bedeutendere Opposition ist zu großkoalitionären Zeiten innerparteilich zu finden. Bei den Sozialdemokraten kämpfen SPD-Linke und Pragmatiker um die Deutungshoheit in Sachen Wählerwillen, in der Union herrscht ein beständiges Kräftemessen zwischen dem Zentrum um die Kanzlerin und der Peripherie der Unions-Ministerpräsidenten. Das "stille Führen", das Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach eigenen Angaben praktiziert, stiftet nämlich sowohl in der eigenen Partei wie auch beim Koalitionspartner nach wie vor Verwirrung. Den Vorwurf, sie "moderiere" die Große Koalition lediglich, anstatt sie zu gestalten, wird Merkel auf absehbare Zeit nicht loswerden. Von den "vielen kleinen Schritten", die sie in ihrer Regierungserklärung beschwor, konnte man realistisch aber auch keine revolutionäre Politik erwarten.

Dabei stehen eine Reihe von Reformprojekten noch aus. Und angesichts der 2008 anstehenden Landtagswahlen, die traditionell die politische Auseinandersetzung verschärfen, wird die Zeit hierfür knapp. Die Reform der Pflegeversicherung wurde in das Jahr 2007 verschoben. Im Niedriglohnsektor zeichnet sich das nächste größere politische Tauziehen ab. Der zweite Teil der Föderalismusreform erfordert langfristiges Denken weit über die laufende Legislaturperiode hinaus. Beim Kündigungsschutz hat man von den im Koalitionsvertrag vereinbarten Plänen Abstand genommen, nachdem die Wirtschaft wenig Begeisterung zeigte. Hier ist bis 2009 keine Neuerung zu erwarten.

Und trotzdem: In jüngster Zeit hat in den Parteispitzen die Einsicht um sich gegriffen, dass man die Vernunftehe unter Umständen auch nach 2009 weiterführen muss. Denn es ist gut möglich, dass sich an den Kräfteverhältnissen nichts dramatisch ändert. Und wenn das Wahlergebnis die Fortsetzung der Großen Koalition erzwingen sollte, darf man als Volkspartei die ganze Sache nicht so einfach absagen.