DDR-Erbe: Der Bundestag hat gestern den Abriß des Palastes der Republik in Berlin beschlossen. Hier durften Erich Honeckers “verdiente Werktätige“ Bowling spielen und Udo Lindenberg zum ersten Mal im Osten rocken.

Berlin. Seit Wolfgang Tiefensee (SPD) Bundesbauminister geworden ist, hat man noch nicht viel von ihm gehört, aber in dieser Woche kam er überraschend in Fahrt. In seiner jetzigen Form sei der Palast der Republik nur noch "eine Karikatur seiner selbst", erklärte Tiefensee in einem Interview mit der "Zeit", und deshalb müsse er weg. Sofort.

Wie das in Lübeck bei Günter Grass ankam, erfuhr man nicht. Der Nobelpreisträger schwieg stille - der alte Blechtrommler, der seit der Wende nicht müde geworden ist, das zu attackieren, was er die "Vollstreckung" der Deutschen Einheit nennt; und der sich in seiner Empörung deshalb den Abrißgegnern angeschlossen hat, die davon träumten, aus der öden Ruine "ein international wirkungsvolles Schaufenster", "ein ebenbürtiges Pendant zum Centre Pompidou in Paris" zu machen. Ein buntgeschecktes Häufchen, zu dem auch die Hollywood-Actrice Sandra Bullock gehörte, die ganz "entsetzt" gewesen sein soll, als sie davon hörte, daß "Erichs Lampenladen" nun tatsächlich vom Erdboden verschwinden sollte.

Warum eigentlich? Hat Bullock nicht gesehen, daß das Ding häßlich wie die Nacht war? Und seit der Asbestbeseitigung den muffigen Charme einer Tiefgarage verströmte?

Es ist vorbei. In namentlicher Abstimmung hat der Deutsche Bundestag gestern abend die Anträge von PDS und Bündnisgrünen zurückgewiesen, den Abriß der Ruine so lange aufzuschieben, bis die Finanzierung des Nachfolgebaus gesichert ist. Das allerdings wird dauern. Baut der Bund in Eigenregie für eine reine Museumsnutzung, liegen die Kosten bei 670 Millionen Euro. Springt ein Investor ein, der zusätzlich ein Hotel bauen darf, steigt der Preis auf 1,2 Milliarden Euro.

Tatsächlich hat Tiefensee gerade den Zeitplan seines Vorgängers Manfred Stolpe korrigiert. Erst 2012 und nicht 2007, wie von Stolpe avisiert, werden die Bauarbeiten am Berliner Schloßplatz beginnen. Immerhin sollen im kommenden Jahr der Baubeschluß fest-, Investoren- und Architektenwettbewerbe ausgeschrieben werden. Damit würde der Bundestagsbeschluß vom 4. Juli 2002 unumkehrbar, in dem es heißt, daß auf dem Grundriß des von Walter Ulbricht gesprengten Stadtschlosses ein Neubau zugunsten der außereuropäischen Sammlungen Berlins, der Wunderkammern der Humboldt-Universität und der Landesbibliothek, errichtet wird. Und zwar hinter (privat finanzierten) barocken Fassaden, um so die dramatischste Wunde zu schließen, die die Kommunisten der Stadt Anfang der 50er Jahre in ihrem Preußen-Haß geschlagen haben.

"Barock" ist das Reizwort der zurückliegenden Jahre gewesen. Architekten haben sich angegiftet, Politiker der Restauration verdächtigt, Museumsleute versuchten vergeblich, sich Gehör zu verschaffen, vermeintlich Linke erwiesen sich als überraschend konservativ, Konservative erklärten sich über Nacht zu Modernisten. Die Debatte war hitzig und ausufernd wie die um das Holocaust-Mahnmal, und als das Parlament den Schloßaufbau im November 2003 angesichts leerer Kassen erst mal auf Eis legte, witterten die Abrißgegner wieder Morgenluft.

Daß die Palast-Ruine für eine kulturelle Zwischennutzung freigegeben wurde, schien ihnen recht zu geben. Schnell galt der düstere Ort mit seinem Schäbi-Schick als schrillste Location der Hauptstadt. Mal wurde sie für ein Kanuspektakel unter Wasser gesetzt, mal mit Wagner beschallt. Unternehmensberater fanden es hip, hier zu tagen, Regisseur Christoph Schlingensief ließ prompt eine schräge Aktien-Aktion vom Stapel, und irgendwann tauchte sogar einer der lange vergessenen Architekten wieder aus der Versenkung auf und triumphierte: "Ich bin stolz auf meine Arbeit, der Palast der Republik war viel zu lange tot!" Die Zwischennutzer haben von Frühjahr 2004 bis heute mehr als 560 000 Besucher bei insgesamt 900 Veranstaltungen gezählt. Sie haben immer von sich behauptet, "spielerisch und ohne ideologische Interessen" für den Erhalt des Palasts der Republik gekämpft zu haben. Am Ende haben sie Wollmützen mit dem Logo "Rettet den Palast" verkauft. Motto: "Laß deinen Kopf für den Palast arbeiten..." Gestern mußten sie einsehen, daß sie verloren haben.

180 Meter lang, 86 Meter breit und 32 Meter hoch - das war der Palast der Republik. In seiner gigantischen Häßlichkeit geliebt von Menschen, die im real existierenden Sozialismus herzlich wenig Gelegenheit hatten, sich zu amüsieren. Im Palast der Republik, dessen Bau von Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker in Auftrag gegeben und 1976 fertiggestellt wurde, konnten sie sich in 13 Kneipen besaufen, ins Theater gehen, bowlen oder in der Sauna schwitzen, da gab es Koteletts und Käsetorten, da herrschten "Frohsinn und Geselligkeit der werktätigen Menschen" (Honecker). Im Palast der Republik feierten sie Jugendweihen und Goldene Hochzeiten, da jubelten sie Udo Lindenberg zu und Harry Belafonte.

Offensichtlich sind nur diese schönen Erinnerungen im kollektiven Gedächtnis haften geblieben und nicht die pseudodemokratischen Sitzungen der Volkskammer oder die drohenden Parolen der SED-Parteitage. Anders ist das "Super illu"-Umfrageergebnis nicht zu erklären, aus dem hervorgeht, daß 60 Prozent der Berliner den alten Kasten gern behalten wollen.

Der eine oder andere hat sich schon ein Erinnerungsstück herausgepickt. Die Ruine "leide" unter Palast-Spechten, klagte die "Berliner Zeitung" in dieser Woche, in den Betonwänden würden bereits "tiefe Löcher" klaffen und Bruchstücke übers Internet angeboten! Aber wohl nicht deshalb hat man den maroden Bau inzwischen eingezäunt, sondern um Abenteurer fernzuhalten. Denn in der Palast-Ruine enden Betonböden im Nichts und gibt es Treppen ohne Geländer. "Eltern haften für ihre Kinder!"

Seit Mittwoch steht eine Batterie von Containern auf dem Berliner Schloßplatz. Ende des Monats soll es losgehen, der Abriß ist bis ins Detail geplant. 19 300 Tonnen Eisen und Stahl müssen zurückgebaut, 56 600 Tonnen Beton, 1000 Tonnen Dämmaterial und Kunststoff, 500 Tonnen Glas entsorgt werden. Damit der Schiffsverkehr auf der Spree nicht im Chaos versinkt - der Palast-Schutt soll auf dem Wasserweg abtransportiert werden -, sollen Wasser-Ampeln die Vorfahrt regeln. Und weil der Palast der Republik in einer Betonwanne errichtet wurde, muß Ballastmaterial herangefahren werden: 80 000 Tonnen Sand plus 20 000 Erde. Andernfalls schwimmt die Wanne auf, und der Berliner Dom gegenüber kippt weg.

Wenn alles nach Plan läuft, soll in spätestens 18 Monaten Gras über die Angelegenheit gewachsen sein. Und im fernen Jahr 2018 oder 2020 werden sich zwischen Berliner Dom, Altem Museum und Schinkels Bauakademie wieder die hellgelb leuchtenden Fassaden erheben, die Andreas Schlüter einst im Auftrag des ersten preußischen Königs entwarf. Und dann wird man hoffentlich vergessen haben, was der "Spiegel" als das eigentlich Beschämende am Streit um den Wiederaufbau des Stadtschlosses bezeichnet hat: "Daß mit ihm noch einmal nachträglich die Beseitigungspolitik unter Ulbricht gerechtfertigt wurde."