Ansichtssache

Selten hat sich die Berichterstattung über ein Entführungsopfer innerhalb von zwei Wochen so gedreht wie die über Susanne Osthoff. Zuerst war sie "ein Soldat der Nächstenliebe", "die Heldin des Guten". Eine Draufgängerin "im Dienste der Menschlichkeit", die einen Hilfskonvoi unter Lebensgefahr in den Irak brachte und dafür den "Tassilo-Preis 2004" der Süddeutschen Zeitung erhielt, die als Archäologin für die Kulturwiege der Menschheit eintrat.

Schon vor ihrer Freilassung wendete sich das Blatt. Da wurde aufgerechnet: Sie habe ihr Kind im Internat zurückgelassen, einen Iraker geheiratet, keinen Kontakt mehr mit ihrer Familie in Bayern, trat zum Islam über. Hat sie sich damit nicht selbst ausgebürgert? Und für so eine wird das Geld deutscher Steuerzahler ausgegeben? Inzwischen ist aus der "Heldin" eine eigensinnige Frau geworden, die sich "leichtsinnig" und "naiv" verhält in einer Kriegsregion. Die Bundesregierung hat das Geld für ihre Projekte im Irak gestrichen. Susanne Osthoff ist frei, aber ihr Ruf ist ruiniert.

Die Frau, die seit Jahren im Nahen Osten lebt und arbeitet, wußte sehr wohl, daß sie sich in Lebensgefahr begab. Was sie nicht wußte, war, daß sie als Entführte automatisch in die lange Reihe von Opfer-Bildern geriet, die wir seit Beginn des Krieges kennen. Jeder erinnert sich an die Ermordung des Amerikaners Nicholas Berg, an das Bild der ermordeten "Care"-Mitarbeiterin Margaret Hassan.

Aber die privaten familiären Verhältnisse von Menschen, die lange Zeit in Krisenregionen arbeiten - ob als Journalisten oder in Hilfsorganisationen -, sind oft labil oder verworren. Diese Grenzgänger entsprechen in ihrem Einsatz nicht dem Bild gehorsamer Staatsbürger/-innen, die sich strikt nach den Sicherheitsempfehlungen des Auswärtigen Amtes richten. Auch Margaret Hassan und die Italienerin Giuliana Sgrena taten das nicht. Sind solche Menschen weniger (Steuer-)Lösegeld wert als andere? Muß eine Geisel eine bestimmte Lebensführung nachweisen (etwa: mütterliche bayerische Hausfrau), damit ihre Regierung alle politischen und geheimdienstlichen Mittel zur Freilassung einsetzt?

Susanne Osthoff konnte auch nicht mitverfolgen, daß die muslimischen Dachverbände in Deutschland sich an die Gipfelkonferenz islamischer Staaten in Mekka wandten und eine Ächtung von Gewalt im Namen des Islam verlangten. Nicht zuletzt deshalb, weil Muslime hierzulande unter einem Generalverdacht stehen, veranstalteten sie Mahnwachen. Aber muß sich Susanne Osthoff dafür "erkenntlich" zeigen? Oder muß nicht - ob sie hier ist oder sonstwo - der Dialog mit den Muslimen ohnehin endlich zustande kommen?

Susanne Osthoff, ausgerechnet sie, ist zu einer Symbolfigur wider Willen geworden. Aber sie ist weder die hilflose Helferin noch die dankbare Befreite, die jetzt prompt daheim für Interviews zur Verfügung steht. Der Irak-Krieg ist längst nicht mehr nur ein militärischer, sondern ein politischer Konflikt, der - siehe CIA-Affäre - häßliche Abgründe offenbart. Am Rand dieses Krieges tauchen Menschen auf, deren Verhalten Fragen aufwirft, die aber trotzdem Schutz verdienen.