Kommentar: Koalitionsgespräche

Knapp drei Wochen nach der Wahl und unter Einhaltung aller möglichen ostasiatischen Gesichtswahrungsrituale nähern sich die einstigen Kontrahenten zusehends an und verhandeln seit gestern abend ernsthaft über das Zustandekommen einer großen Koalition.

Gerhard Schröder und seine SPD haben durchgesetzt, daß zuerst über Sachfragen geredet wurde, bevor Angela Merkel nun ihren Anspruch auf das Kanzleramt vermutlich durchsetzen wird. Der Preis dafür dürfte in wichtigen Ministerposten für die SPD und in der Festschreibung möglichst vieler sozialdemokratischer Kernpunkte in einem künftigen Regierungsprogramm bestehen. Kurz, er wird hoch für die Union und ihre Kandidatin sein. Allerdings scheint ein solcher Kurs im Sinne der Mehrheit der Wähler zu liegen: gemäßigter Fortschritt bei möglichst großer Sicherheit, moderate Veränderungen bei geringen Schmerzen.

Ihn umzusetzen wird schwer genug. Zum einen nimmt der Rest der Welt keine Rücksicht auf deutsche Befindlichkeiten und soziale Sicherheitsbedürfnisse. Zum anderen sind die Staats- und Sozialkassen nicht nur leer, sondern hoch verschuldet, um einfach weiterzumachen wie bisher. Außerdem werden weder die Sozialdemokraten noch die drängende Männerriege hinter Merkel in der Union Interesse an einer starken Kanzlerin haben. Die einen aus natürlicher politischer Konkurrenz nicht, die anderen, weil sie noch eigene Karrierepläne verfolgen.

Trotz all dieser ungünstigen Startbedingungen: Zuallererst hat das Land, haben die Bürger einen Anspruch darauf, wieder regiert zu werden. Diese ureigenste politische Tätigkeit wurde spätestens nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai quasi eingestellt. Die in Klausur gegangenen vier Spitzenpolitiker sollten jetzt also nicht so tun, als säßen sich fremde Wesen mit bisher geheimen Programmen und Vorstellungen gegenüber. Wenn sie wollen, können sie schnell zu einer Einigung kommen.