Die Wut der Rentner über die neuen Regelungen hat jetzt auch die Redaktion erreicht. Das Hamburger Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Hamburg. Wer ist von der Neuregelung betroffen und ab wann gilt sie?

Betroffen sind alle Rentner, die Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind und eine betriebliche Altersvorsorge abgeschlossen haben - das umfasst Pensionskassen, Direktversicherungen, Betriebsrenten und betriebliche Versorgungswerke. Nicht betroffen sind alle, die privat krankenversichert sind. Die Regelung tritt zum 1. Januar im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes in Kraft.

Was ändert sich durch das neue Gesetz finanziell?

Bisher mussten Rentner, die sich Erträge aus betrieblicher Altersvorsorge in Monatsraten überweisen ließen, 50 Prozent der Krankenkassen- und Pflegebeiträge bezahlen; den Rest übernahmen die Rentenversicherungsträger. Auf Einmalauszahlungen mussten bislang keine Krankenversicherungsbeiträge bezahlt werden. Ab 1. Januar 2004 wird nun sowohl auf Einmalauszahlungen als auch auf Monatsauszahlungen der volle Krankenversicherungsbeitrag erhoben. Das werden 2004 im Schnitt 15,7 Prozent Krankenversicherungsbeitrag sein - 14 Prozent durchschnittlicher Krankenkassenbeitrag sowie 1,7 Prozent Pflegebeitrag. Die Rentenkassen übernehmen dann nichts mehr.

Nach welchen Regeln werden die Versorgungsbezüge ab dem kommenden Jahr berechnet?

Die Versicherungen und Pensionskassen melden die Kapitalauszahlung künftig automatisch den gesetzlichen Krankenkassen. Die behalten dann von der ausbezahlten Summe den entsprechenden Anteil gemäß des jeweiligen Beitragssatzes ein. Die Berechnung erfolgt nach der Regel: Erst wird immer der Krankenkassen- und Pflegebeitrag der gesetzlichen Rente abgezogen; erst dann kommen die weiteren Versorgungsbezüge.

Wie sieht die Berechnung der Beiträge konkret aus?

Bei der einmaligen Kapitalauszahlung wird die Summe auf 120 Monate (zehn Jahre) verteilt. Die Beiträge werden berechnet bis zur monatlichen Höchstgrenze (Beitragsbemessungsgrenze) von 3487,50 Euro brutto. Wer beispielsweise 1500 Euro Rente im Monat bekommt, muss noch auf maximal 1987,50 Euro aus den Versorgungsbezügen Beiträge bezahlen. Bei einer Kapitalauszahlung von 200 000 Euro sind es auf zehn Jahre gerechnet monatlich 1666 Euro, auf die Beiträge bezahlt werden müssen. Bei einem Beitragssatz von 15,7 Prozent entspricht das rund 261 Euro monatlich zehn Jahre lang.

Bei monatlicher Auszahlung erhielten viele Betroffene bereits eine Mitteilung ihres Versorgungswerks oder Versicherung, dass sich die Beiträge zur Krankenversicherung zum 1. Januar erhöhen (siehe Ausriss oben). Auch hier gilt als Limit die Beitragsbemessungsgrenze von 3487,50 Euro brutto monatlich.

Welche Mehrbelastung kommt konkret auf die Rentner zu?

Die Verbraucherzentrale Düsseldorf hat ausgerechnet, dass bei einer Kapitalsumme von 100 000 Euro 15 000 bis 17 000 Euro für Sozialbeiträge aufgewendet werden müssen. Ein Versicherter mit einem Beitragssatz von 14,9 Prozent zahle von 2004 an dann im Monat 149 Euro für die Krankenkasse plus 17 Euro für die Pflegeversicherung. 120 mal 166 Euro machten aus ursprünglich 120 000 Euro Sparkapital nur noch knapp 100 000 Euro, errechnete ein Experte für das Magazin "Focus".

Der Bundesverband der Betriebsrentner weist darauf hin, dass durch die neue Regelung jene stärker belastet werden, die weniger gesetzliche Rente und mehr Betriebsrente erhalten. Ein Rentner mit 1000 Euro gesetzlicher Rente und 2000 Euro Betriebsrente muss künftig 325 Euro Krankenversicherungsbeiträge bezahlen. Ein Rentner mit 2000 Euro gesetzlicher Rente und 1000 Euro Betriebsrente muss nur 260 Euro bezahlen. Der Grund ist: Die Krankenversicherungsbeiträge der gesetzlichen Rente werden zur Hälfte weiter vom Arbeitgeber bezahlt, während jene auf Betriebsrenten vom Betroffenen allein getragen werden müssen.

Wurden bereits rechtliche Schritte gegen die Neuerung eingeleitet?

Der Sozialverband VdK, die Interessenorganisation der 20 Millionen deutschen Rentner hat angekündigt, wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes das Verfassungsgericht anzurufen. Den sieht der VdK angegriffen, weil Arbeitnehmer nur 50 Prozent der Sozialbeiträge selbst zahlen müssen. Den Rest übernehmen die Arbeitgeber. Rentner müssten jedoch mit dem neuen Gesetz die gesamten Sozialbeiträge voll selbst tragen. Viele Experten, unter anderem der deutsche Anwaltsverein, halten eine solche Klage allerdings für wenig aussichtsreich. Zwischen einem politischen Versprechen und einer rechtlich bindenden Zusage bestehe ein großer Unterschied. Und, so der Anwaltsverein, rechtlich bindende Zusagen habe der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang nie gemacht.

Was kann ich als Rentner persönlich unternehmen?

Edda Castello von der Verbraucherzentrale Hamburg rät: "Betroffene Rentner sollten formalen Widerspruch gegen die Bescheide über die Beitragserhöhung einlegen. Das geht innerhalb von vier Wochen nach Erhalt. Dann könnte eine Klage vor dem Sozialgericht eingereicht werden." Die Begründung einer solchen Klage könnte jedoch schwierig werden, räumt Castello ein. "Ein Gesetz ist immer sehr schwer anzufechten." In Frage käme ihrer Ansicht nach nur das Argument, dass der Bestandsschutz des Vertrags verletzt worden sei. "Denn", so Castello, "die Betroffenen haben Altersrücklagen in dem Vertrauen gebildet, dass es auch in der vertraglich abgemachten Form ausbezahlt wird." Ansonsten gäbe es jedoch keine Möglichkeiten, gegen die Mehrbelastung vorzugehen.

Die Verbraucherzentrale rät zudem dringend davon ab, nun wegen der neuen Gesetzeslage voreilig Direktversicherungen zu kündigen, nur um den höheren Beiträgen zu entgehen. "Das sollte man erst dann machen, wenn ganz sicher ist, dass die Beitragserhöhung alle Renditevorteile der Versicherung aufgefressen hat", so Castello.

Was sagen die Versicherungsunternehmen dazu?

"Da wird auf hinterhältige Art und Weise versucht, die gesetzlich Versicherten noch weiter zu schröpfen", sagte Wolfgang Otte, Sprecher der Volksfürsorge. "Man kann nur hoffen, dass sich da noch etwas ändert." Ähnlich äußerte sich Peter Thomas, Vorstandsvorsitzender des seit vielen Jahren in der betrieblichen Altervorsorge tätigen Hamburger Versicherungsunternehmens Condor: "Wir halten die Regelung weder für richtig noch für gerecht."

Thomas geht davon aus, dass in dieser Sache der Branchenverband tätig werden muss. Derzeit seien aber sowohl für die Versicherer als auch für ihre Kunden zahlreiche Einzelheiten des neuen Verfahrens noch unklar: "Bei uns rufen viele Menschen an, die verunsichert sind."

Was können Betroffene tun, um die Belastungen abzumildern?

Theoretisch könnte man versuchen, sich mit dem Arbeitgeber darauf zu einigen, dass die Direktversicherung ausgezahlt wird, so lange man noch nicht Rentner ist - denn in diesem Fall trägt der Arbeitgeber die Hälfte der Krankenkassenbeiträge. Weil aber die Krankenkasse zur Berechnung der Kassenbeiträge die Auszahlung aus der betrieblichen Altersvorsorge rechnerisch über zehn Jahre streckt, würde die "Halbierung" der Krankenkassenbeiträge nur für die Zeit bis zur Rente wirken, erklärte Anton Lindner, Abteilungsleiter bei der Condor Versicherung.

Unklar ist laut Lindner noch, wie ein Fall wie dieser behandelt würde: "Es gibt Direktversicherungen, die mit 60 Jahren fällig werden, während der Arbeitnehmer erst mit 65 Jahren in Rente geht und dann unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt." Ob dann nachträglich dennoch Kassenbeiträge für die Zeit davor gezahlt werden müssen, ist noch nicht geklärt.

Was geschieht, wenn eine Direktversicherung in eine private Lebensversicherung umgewandelt wurde?

"Nach dem, was wir bisher wissen, bleibt die betriebliche Altersvorsorge auch dann eine betriebliche Altersvorsorge, wenn sie später in eine private Lebensversicherung umgewandelt wird", sagte Condor-Experte Lindner. Auf den Teil der Versicherung, der aus der Direktversicherung stammt, müsse später voraussichtlich der Krankenversicherungsbeitrag gezahlt werden.

Auch bei der Volksfürsorge geht man davon aus, dass in solchen Fällen der Versicherer der Krankenkasse des Leistungsempfängers melden muss, welcher Teil des Ertrags aus der betrieblichen Altersvorsorge kommt.

Ist es empfehlenswert, in eine private Krankenversicherung zu wechseln?

Wechseln kann ohnehin nur, wer mehr als 3862,50 Euro im Monat, das sind 46 350 Euro im Jahr, verdient (Versicherungspflichtgrenze). Dieser mögliche Ausweg sollte aber keinesfalls ohne sorgfältige Überlegung gewählt werden. Bedenken sollte man dabei, dass Familienangehörige nicht wie bei der gesetzlichen Kasse automatisch mitversichert sind.

Weil die Prämien nach Alter und Gesundheitsrisiko individuell kalkuliert werden, lohnt sich ein Wechsel zu den Privaten nach Einschätzung von Verbraucherschützern in der Regel nur etwa bis zum Alter von 42 Jahren, weil danach schon die Anfangsbeiträge zu hoch würden. Bedenken sollte man auch, dass die Krankenversicherungsbeiträge üblicherweise im Alter steigen - anders als in der umlagefinanzierten gesetzlichen Krankenversicherung.