Bei der Prämie für die Verschrottung tadelloser Autos geht es weder um ökonomische Vernunft noch um ein Konzept für die Zukunft. Vielmehr bedient der Staat ein archaisches Rudelverhalten, um gute Laune zu verbreiten. Eine Polemik von Olaf Preuß

Ganz klar, es gibt Situationen, da muss man dabei sein: beim gemeinsamen Beutezug als Piranha, in der Absetzbewegung der Antilopenherde beim Auftritt des Löwenrudels, beim Wegbeamen auf die Enterprise während des Angriffs der Klingonen. Und selbstverständlich auch: bei der Entgegennahme der Abwrackprämie.

In einer Art Massenpanik stürmen Hunderttausende Menschen seit der vergangenen Woche die Onlineseiten des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa). Es geht um 2500 Euro Abwrackprämie je Altauto, eine Summe, die zu verpassen bei immer mehr deutschen Automobilisten krampfartige Ängste auslöst. Die Onlineseite der Bafa brach zeitweise zusammen, was die Furcht, womöglich nicht dabei sein zu dürfen, bei vielen Antragstellern noch steigerte. "Die Sorge, zu kurz zu kommen, ist ein sehr starkes Motiv", analysierte die Verhaltensforscherin Andrea Gröppel-Klein von der Universität des Saarlandes in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Eine der spannendsten Disziplinen der Biologie ist die Erforschung des Rudelverhaltens im Tierreich: Warum ändert der Heringsschwarm abrupt seine Richtung? Wie organisieren Zugvögel ihre wunderbaren Formationsflüge? Warum schwimmen ganze Walschulen zugleich auf die Strände Australiens? Viele Fragen sind hier noch offen, aber in einem Punkt herrscht mittlerweile Klarheit. Der spontane Ansturm des Rudels auf die Abwrackprämie ist nicht der Vernunft geschuldet, sondern einzig und allein der Erbauung.

Es gibt nur weniges, was den Deutschen echte und anhaltende Freude verschafft. Neue Autos gehören unter allen Umständen dazu, aber auch der Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft oder der Rücktritt von Bahn-Chef Hartmut Mehdorn. Den Gewinn einer Weltmeisterschaft kann man, im Gegensatz zu manch anderen Spielen im Fußball und Handball, nicht ohne Weiteres kaufen. Mehdorns Rücktritt wiederum ist ein singuläres Ereignis. Am Ende bleibt der Regierung also nur, ihren Wählern neue Autos zu spendieren, oder sagen wir, einen Teil davon, etwa den Gegenwert des Motors und zweier Kotflügel.

Hans Hinrich Driftmann, der neue Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, empfindet derlei als unangemessen. Der ranghöchste Verbandsvertreter der deutschen Wirtschaft merkte dazu an: "Das sind letztlich nicht mehr als großzügige Trinkgelder, die da verteilt werden. Kurzfristige Projekte sind wie Zucker für die Vögelchen. Das ist schlecht, auch im psychologischen Sinne."

Hier irrt Driftmann, der hauptberuflich in Elmshorn die beliebten Köllnflocken herstellt. Was ist besser für die Volkseele als gute Laune und "großzügige Trinkgelder"? Das Argument, der Staat solle mehr Schulen und Kindergärten bauen, anstatt massenweise tadellos gepflegte Autos in die Schrottpresse zu schicken, zieht hier nur begrenzt. Viele der Kinder, die auf die neuen Schulen gehen sollen, sind ja noch gar nicht geboren. Und in den einschlägigen Quizshows auf allen Fernsehkanälen lernen die jungen Menschen heutzutage allemal mehr als vor der langweiligen Schultafel oder dem Bunsenbrenner im Chemiesaal.

Der Ökonom Josef Schumpeter brachte in die Volkswirtschaftslehre die Theorie von der "Kraft der schöpferischen Zerstörung" ein. Dieser Gedanke wurde ein ungemein wichtiges Werkzeug bei der Interpretation wirtschaftlicher Zusammenhänge. Unternehmen stehen demzufolge in einem immerwährenden Prozess der gegenseitigen Zerstörung - der Konkurrenz -, der im Ergebnis immer mehr Fortschritt bringt und somit immer mehr Menschen glücklich macht. Das komplette Bild bei der Deutung der Abwrackprämie ergibt sich nun, wenn man Schumpeters Erläuterungen um einen wichtigen Satz des großen britischen Ökonomen John Maynard Keynes ergänzt. Auf die Frage nach der Qualität langfristiger Analysen sagte Keynes der Überlieferung zufolge gern: "Langfristig sind wir alle tot."

In der Übersetzung bedeutet das: Mit der Abwrackprämie zerstört die Bundesregierung nicht nur den größten Teil des Gebrauchtwagenmarktes, die Stahlpreise und das Geschäft von Reparaturwerkstätten, sie zerstört vor allem die innersten Verstrebungen der marktwirtschaftlichen Logik. Aber warum eigentlich nicht? Wer kann mit Sicherheit behaupten, dass Ludwig Erhards Erfindung, die "soziale Marktwirtschaft", für alle Zeiten gedacht war?

Immerhin ist die Abwrackprämie sozial, zumindest für all die glücklichen Neuwagenbesitzer. Was nun Keynes anbelangt und die langfristigen Folgen seltsamer Affekthandlungen: Wen kümmert es, was in zwei Jahren ist, wenn man nicht mal weiß, wie die Weltwirtschaft übers Wochenende kommt?

Zerstörung bewirkt im wirtschaftlichen Sinne ungemein viel Gutes. Was soll man aufbauen, wenn nichts zerstört wird? Ostdeutschland nach 1989 war in dieser Hinsicht für die westdeutschen Bauunternehmen, Versicherungsvertreter und Gebrauchtwagenhändler ein absolutes Paradies: ein Land, das seine Wirtschaft gründlich selbst zerstört und sich damit für den Wiederaufbau bestens empfohlen hatte. Übrigens mit einem Umtauschkurs von Ost-Mark in West-Mark von eins zu eins. Dieser Kurs gab der DDR-Wirtschaft den letzten Rest. Aber auch damals ging es, wie heute bei der Abwrackprämie, nicht um wirtschaftliche Rationalität, sondern um gute Laune. Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, sagten damals Hunderttausende DDR-Bürger nach dem Fall der Mauer klar und deutlich, dann kommen wir eben zur D-Mark.

Zerstörung hält die Wirtschaft fit, aber auch die Seele. Ein guter Freund erwarb kürzlich für mehrere Hunderttausend Euro eine schicke Altbauwohnung in zentraler Hamburger Lage. Zu spät bemerkte er, dass sie voller Zipperlein steckt. Seinen inneren Ausgleich gegen diesen Ärger fand er, als er mit einem elektrischen Meißelhammer für 29,90 Euro aus dem Baumarkt voller Energie mehrere Zimmerwände für die anstehende Renovierung von Putz und Kacheln frei hämmerte. Der donnernde Lärm der Nachbarn, der durch die viel zu dünnen Wände des Uraltbaus dringt, wird deshalb später nicht geringer sein, soweit man weiß. Doch der Freund bekam das gute Gefühl, im Prozess der Zerstörung eine innere Reinigung erfahren zu haben. Der Kaufpreis bedrückt ihn jetzt kaum noch.

In der U-Bahn von Tokio werden die Fahrgäste morgens von speziell geschulten Packern in den Waggons verstaut. Alle müssen rein, um jeden Preis. In Indien fahren die Menschen auf den Dächern der mehrfach überfüllten Züge. Es mag sein, dass beides nicht bequem und nicht wirklich sicher ist, dass den Fahrgast der Mundgeruch des Nachbarn peinigt oder der lauernde Unfalltod, wenn eine Tunneleinfahrt näher kommt.

Doch bei der Fahrt zur Arbeit in Indien und in Japan ist es wie bei der Abwrackprämie in Deutschland und bei den Olympischen Spielen: "Dabei sein ist alles." Davon kann man noch seinen Enkeln erzählen, ganz viel später einmal, wenn man sie als Großvater oder Großmutter zu Hause unterrichtet. Denn für Schulen ist dann natürlich längst kein Geld mehr da.