Hamburgs SPD-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl über die Umfragewerte seiner Partei, Konfliktlinien in der Koalition - und Merkels Führungsstil.

Berlin. Hamburger Abendblatt:

Herr Minister, in der letzten Sitzung des Koalitionsausschusses sind viele Ihrer Initiativen am Widerstand der Union gescheiter ...

Scholz:

... es ging um Jobcenter und die Leiharbeitnehmer. Wir sind nicht einig geworden, aber wir verhandeln weiter. Wenn ich so schnell aufgeben würde, hätte ich viele erfolgreiche Lösungen der letzten Zeit nicht hinbekommen. Aber ich will schon kritisch anmerken: Lösungen fallen nicht vom Himmel, sie verlangen den Willen zu politischer Führung.



Abendblatt:

Sie sprechen von Angela Merkel?

Scholz:

Führung heißt auch, den eigenen Laden zusammenzuhalten und nicht nur die Blicke hoffnungsvoll auf andere zu richten. Dass es bei der Kanzlerin da Verbesserungspotenziale gibt, hat auch das Hin und Her um das Umweltgesetzbuch gezeigt. Die Länder waren dafür, weite Teile der CDU und die SPD sowieso. Nur Bayern nicht. Und es gelingt nicht, dieses Gesetz gegen den bayerischen Ministerpräsidenten durchzusetzen. Genauso bei den Jobcentern: Da geht es immerhin um ein Konzept, auf das ich mich mit den Ministerpräsidenten Beck und Rüttgers geeinigt habe.



Abendblatt:

Werden die Lohnuntergrenzen für Zeitarbeitnehmer überhaupt noch kommen?

Scholz:

Ich hoffe es. Die Union hat ihr Wort gegeben. Darauf setze ich. Allerdings geht es nicht, dass der schlechteste Tarifvertrag, den es in Deutschland gibt, der Maßstab für alle anderen sein soll. So etwas hätte in früheren Jahrzehnten kein Christdemokrat für richtig gehalten, und wir Sozialdemokraten werden das auch heute nicht tun.



Abendblatt:

Wie also wollen Sie diesen Konflikt lösen?

Scholz:

Ich werde schon in den nächsten zwei Wochen einen neuen Vorschlag machen.


Das wäre dann übrigens mein sechster Vorschlag, wie wir den Zeitarbeitnehmern helfen können. Alle wurden bisher nicht akzeptiert. Mein Verdacht wächst, dass das nicht an den Vorschlägen lag, sondern daran, dass die CDU/CSU keinen Mindestlohn für Zeitarbeiter will.


Abendblatt:

Ist die SPD für den Wahlkampf gut aufgestellt?

Scholz:

Wir sind besser aufgestellt als in den letzten oft sehr schwierigen Jahren. Die SPD hat ein geschlossenes politisches Auftreten. Und wir haben ein klares Anliegen, das sich in drei Botschaften ausdrücken lässt: Wer sich anstrengt, muss etwas davon haben. Wer sich Mühe gibt, muss damit sein Leben verbessern können und darf nicht auf unüberwindbare Hürden stoßen. Und: Niemand darf am Wegesrand zurückbleiben.



Abendblatt:

Drei Botschaften, die auch Angela Merkel unterschreiben würde.

Scholz:

Das stimmt nicht. Diese Grundsätze unterscheiden uns von den politischen Mitbewerbern auf der Linken und auf der Rechten. Links von uns macht man sich überwiegend Gedanken darüber, wie jemand in einer schlechten wirtschaftlichen Lage mit staatlicher Hilfe zurecht kommt. Das ist wichtig, aber nicht genug. Die Wettbewerber auf der Rechten wünschen wohl auch viel Glück im Leben, es ist aus ihrer Sicht aber keine Aufgabe der Politik, dass das für möglichst viele klappt. Das zeigt die Haltung der CDU zu Mindestlöhnen exemplarisch.



Abendblatt:

Bisher hat der Wechsel in der SPD-Spitze zu Frank-Walter Steinmeier und Franz Müntefering die Partei nicht nach vorne gebracht.

Scholz:

Wer meint, dass man mit zwei Personalien blitzschnell Meinungen bewegen kann, der achtet die Bürger nicht. Ich bin sicher, dass wir es bis zum Wahltag wieder schaffen werden, mit der CDU gleichzuziehen. Viel spricht dafür, dass es bei der nächsten Bundestagswahl so ausgeht wie bei der letzten: Zwei annähernd gleich starke Volksparteien. Unser Ziel ist, dass die SPD dabei vorn liegt.



Abendblatt:

Dafür spricht derzeit nicht viel. Mehr als 50 Prozent der Deutschen würden bei einer Direktwahl des Kanzlers Frau Merkel vorziehen.

Scholz:

Das wird sich ändern. Dass Amtsinhaber bei der Frage meistens vorne stehen, hat noch keinen Regierungswechsel aufgehalten.



Abendblatt:

Aber warum steht die SPD in den Umfragen derzeit so abgeschlagen da?

Scholz:

Ich rate zu guten Nerven. Wir lagen 2005 zu einem viel dichter am Wahltag liegendem Zeitpunkt schlechter als heute. Die Umfragewerte bewegen sich allmählich nach oben. Hektisch zu reagieren bringt nichts. Ein klarer Kurs wird belohnt, erst recht, wenn er sich auf Erfolge aus der Vergangenheit stützen kann. Dass Deutschland mit der wirtschaftlichen Krise vielleicht besser fertig werden kann, als es früher der Fall gewesen wäre, ist ganz sicher das Ergebnis sozialdemokratischer Reformpolitik.



Abendblatt:

Tritt Steinmeier öffentlich ausreichend oft in Erscheinung?

Scholz:

Frank-Walter Steinmeier ist Außenminister. Er kann nicht ständig Wahlkampf machen. Ich finde, dass er die Balance zwischen der Wahrnehmung seines Amtes als Außenminister auf der einen Seite und der Notwendigkeit, darauf hinzuweisen, dass es demnächst die Möglichkeit gibt, den Außenminister zum Bundeskanzler zu machen, richtig wahrt.



Abendblatt:

Einer seiner wenigen Wahlkampfauftritte war kürzlich beim angeschlagenen Autobauer Opel. Muss dieser Konzern gerettet werden?

Scholz:

Wir würden gerne sicherstellen, dass es Opel auch in Zukunft gibt. Dafür bedarf es eines tragfähigen Rettungskonzepts. Das liegt uns leider noch nicht vor.



Abendblatt:

Ist Opel ein systemrelevantes Unternehmen? Müntefering sagt ja, Merkel nein.

Scholz:

Systemrelevant können Banken sein, weil es Bankpleiten gibt, die eine Wirtschaftskrise auslösen können. Das gilt für Opel nicht - und trotzdem sollte der Firma geholfen werden, wenn sie ein tragfähiges Konzept vorlegen kann. Opel ist sicherlich ein relevantes Unternehmen.



Abendblatt:

Bisher profitiert in Deutschland einzig die FDP politisch von der Wirtschaftskrise.

Scholz:

Guido Westerwelle ist der Oskar Lafontaine der CDU.



Abendblatt:

Sie beschimpfen Westerwelle, gleichzeitig träumt Ihre Partei aber von einer Ampelkoalition mit Grünen und FDP. Wie passt das zusammen?

Scholz:

Selbstverständlich können wir auch mit den Grünen und der FDP Politik machen. Es gibt nach der Bundestagswahl zwei plausible Alternativen: Erneut eine große Koalition. Oder aber eine Regierung von SPD, Grünen und FDP. Übrigens: Ich bin für klare Worte, aber schimpfen ist nicht meine Sache.



Abendblatt:

Wie realistisch ist so ein Bündnis?

Scholz:

Richtig ist, dass die Mehrheit der Funktionäre der CDU und der FDP weiter weg ist von sozialstaatlichen Traditionen als in früheren Jahrzehnten. Auch der Widerstand der Union gegen den Mindestlohn für die ohnehin schwer gebeutelten Zeitarbeitnehmer zeigt, dass diese Partei immer noch für den auf ungeregelte Märkte setzenden Kurs steht, den die heutige Kanzlerin 2005 ins CDU-Wahlprogramm geschrieben hat. Deshalb lautet unsere die Botschaft an die Wähler: Wenn eine dieser beiden Parteien an der Regierung beteiligt ist, dann ist das nicht so schlimm. Aber wenn die SPD die Regierung nicht trägt, werdet Ihr Euch wundern, welche sozialen Errungenschaften unseres Landes in Frage gestellt werden.



Abendblatt:

Herr Scholz, Sie sind SPD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl in Hamburg. Auf welche Themen setzen Sie?

Scholz:

Auf die Themen, auf die es bei der Bundestagswahl ankommt: Arbeit, Umwelt und äußere Sicherheit zum Beispiel. Aber es wird sicher darüber gesprochen werden müssen, dass die HSH Nordbank den gleichen falschen Rezepten gefolgt ist, die die ganze Welt in eine Wirtschaftskrise gestürzt haben. Die Bank ist deshalb in Schwierigkeiten, weil verantwortliche Politiker dieser Stadt entschieden haben, sich nicht mehr auf das traditionelle Geschäft konzentrieren zu wollen. Wir Steuerzahler müssen für den gigantischen Schaden aufkommen. Das ist ein Politikum.