Ein Blumenstrauß noch für die scheidende Chefin, so viel Zeit muss sein. “Ich bitte die Andrea, jetzt mal zum Thorsten auf die Bühne zu kommen“.Bilder von Andrea Ypsilanti.

Darmstadt. Ein Blumenstrauß noch für die scheidende Chefin, so viel Zeit muss sein. "Ich bitte die Andrea, jetzt mal zum Thorsten auf die Bühne zu kommen", sagt Michael Siebel aus dem Vorstand der Hessen-SPD. Aber Andrea Ypsilanti ist erst mal nicht auffindbar, also nimmt der designierte Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel die Blumen und sucht die Genossin. Die Ankunft des Hoffnungsträgers im Spitzenamt der hessischen Sozialdemokraten und der Abschied von der gescheiterten Fast-Ministerpräsidentin, das ist die große Geschichte des Landesparteitags in Darmstadt. Ypsilanti steht dann doch noch auf der Bühne, Schäfer-Gümbel nimmt sie in den Arm. Und dann geht sie.

Die Versammlung der Sozialdemokraten wurde zur Veranstaltung einer Partei, die auf der Suche ist nach sich selbst. Dass die jüngste Geschichte mit dem missglückten Griff nach der Macht längst nicht vergessen ist, zeigte sich in der Abschiedsrede Ypsilantis. "Gewissensentscheidungen dürfen nicht einseitig und willkürlich getroffen werden", rief sie den Delegierten zu, und jeder wusste, wer gemeint war. Die Abweichler Jürgen Walter, Silke Tesche und Carmen Everts, die sie im November 2008 beim zweiten Versuch, sich zur von der Linkspartei tolerierten Ministerpräsidentin wählen zu lassen, hatten fallen lassen.

Ypsilanti verteidigte erneut ihre Pläne und rechnete mit dem Trio ab: "Die Einzelperson darf nicht mehr gelten als der Mehrheitsbeschluss einer Partei", und weiter: "Man muss nicht hinnehmen, dass sich Täter zu Opfern stilisieren oder gar zu Helden verklärt werden." Dass sie ein "mediales Kesseltreiben" insbesondere gegen sie beklagte, fand den Applaus der Delegierten. Noch mehr Applaus gab es nach ihrem letzten Gruß als Parteivorsitzende, den sie unter Tränen beendete: "Es ist eine Lebensaufgabe, Sozialdemokratin zu sein. So verstehe ich mich, und so bleibe ich - eine von euch."

So ist viel von der Vergangenheit geredet worden in Darmstadt. Auf einem Parteitag, der die personellen Weichen der schicksalsgebeutelten Partei stellen sollte. Zu entscheiden war über die Landesliste der SPD Hessen für die Bundestagswahl im September und über den neuen Kopf der Partei. Das immerhin gelang: 89 Prozent der Stimmen hat Schäfer-Gümbel, der Verlegensheitskandidat der verlorenen Landtagswahl vom 28. Januar, bekommen.

Mit der Einigkeit war es dann schnell vorbei. Als der Delegierte Gerd Körner die Partei aufforderte, die Parteiausschlussverfahren gegen die Abweichler auszusetzen, ertönten Buhrufe und Pfiffe. Der "Dolchstoß" der Abweichler schmerzt die Sozialdemokraten immer noch.

Als Schäfer-Gümbel ans Rednerpult tritt, erwarten die Delegierten den Befreiungsschlag. Er trägt kein Sakko und sieht noch jünger aus, als er mit seinen 39 Jahren ohnehin ist. "Selbstkritik und Aufbruch" ist das Motto des Landesparteitags, und Selbstkritik übt Schäfer-Gümbel zunächst reichlich. Dass die Menschen das Vertrauen in die hessische SPD verloren hätten, sei einzig ihre eigene Schuld - und nicht etwa die der SPD auf Bundesebene. Weil ein Teil der Wähler eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht wollte oder nicht verstehen konnte, dass man vor der Wahl eine solche Koalition ausschloss und sie dann anstrebte, habe man das Vertrauen der Wähler verloren. So steht es auch im Leitantrag des Parteitags. Betitelt ist er optimistisch "Unser Weg zur Regierungsverantwortung 2014". Erst beim Blick in die Zukunft nimmt Schäfer-Gümbel Fahrt auf. Er will schnell das Vertrauen zurückgewinnen - "wir sind auf einem Langstreckenlauf zurück zur Macht".

Hessens alter und neuer Ministerpräsident Roland Koch (CDU), den abzulösen die Sozialdemokraten einmal ausgezogen waren und woran sie kläglich scheiterten, kommt in keiner Rede vor.