Freunde rätseln: Selbstmord oder Unfall? Der ehemalige Bundesminister starb beim Fallschirmspringen in Westfalen.

Marl/Berlin. Der ehemalige FDP-Spitzenpolitiker Jürgen W. Möllemann ist in den Tod gesprungen. Der 57-Jährige starb gestern bei einem Fallschirmabsprung nahe dem Flughafen Loemühle bei Marl. Nach Zeugenaussagen löste sich in einer Höhe von mehr als 1000 Metern der Hauptschirm. Der Rettungsschirm öffnete sich nicht. Es war gestern unklar, ob der Tod Möllemanns auf einen Unfall, Fremdverschulden oder Selbstmord zurückzuführen ist. Kurz zuvor war im Bundestag die Immunität des Politikers aufgehoben und eine Großrazzia in seinen Büros und Wohnräumen eingeleitet worden. Die Staatsanwaltschaft Recklinghausen ermittelt nach Aussage von Oberstaatsanwalt Wolfgang Reinicke in alle Richtungen. Einen Abschiedsbrief habe Möllemann nicht hinterlassen. Einer der engsten Freunde des ehemaligen FDP-Politikers, Uwe Tönningsen, glaubt deshalb auch nicht an einen Freitod. Ähnlich äußerte sich auch sein enger Freund, der schleswig-holsteinische FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Gestern gegen 10 Uhr habe ihn Möllemann angerufen und geschildert, vor seiner Haustür stünden Kameras und zwei Autos mit Düsseldorfer Kennzeichen: "Was hat das zu bedeuten?" Daraufhin habe er, Kubicki, seinen Freund Möllemann darüber informiert, dass dessen Immunität aufgehoben werde. "Er hatte nichts zu befürchten, und er schien mir aufgeräumt, ruhig und gelassen", sagte Kubicki. Dann überschlagen sich die Ereignisse: Um 12.15 Uhr startet auf dem Flughafen Loemühle die "Pilatus-Porter"-Propellermaschine mit Möllemann und neun weiteren Fallschirmspringern an Bord. Um 12.20 Uhr hebt der Bundestag die Immunität Möllemanns auf, wenig später durchsuchen etwa 100 Beamte an 13 Orten in Deutschland, Luxemburg, Spanien und Liechtenstein die Wohnräume und Büros des Politikers und Unternehmers. Hintergrund sind die laufenden Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung, Verstoßes gegen das Parteiengesetz, Betrugs und Untreue. Um 12.30 Uhr springt Möllemann vermutlich als Letzter in 4000 Meter Höhe aus der Maschine. Minuten später ist er tot. Der Chef des Fallschirmclubs Marl, Thomas Vilter, berichtete, Möllemann habe in etwa 1500 Metern seinen bereits geöffneten Hauptschirm ausgeklinkt und nicht den Reserveschirm gezogen. "Eine Störung war von hier aus, vom Boden aus, nicht zu erkennen." Der Tod des ehemaligen FDP-Spitzenpolitikers und Vize-Kanzlers erschütterte die Politiker aller Parteien. Über dem Reichstag in Berlin wurden die Fahnen auf Halbmast gesetzt. Im Bundestag trauerten die Abgeordneten um ihren Kollegen. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte, er habe Möllemann "als Menschen geschätzt". Wie Schröder drückten auch FDP-Chef Guido Westerwelle und der Ex-Außenminister Klaus Kinkel (FDP) der Frau und den drei Töchtern Möllemanns ihr Mitleid aus. Möllemann war vor drei Monaten aus der FDP ausgetreten. Er hatte im Bundestagswahlkampf ein anti-israelisches Flugblatt drucken und verteilen lassen, das zum Zerwürfnis mit seiner Partei führte. Die Finanzierung dieser Aktion beschäftigte seitdem die Staatsanwaltschaft.