“Menschenverachtend“: Ärzte und Politiker weisen Experten-Plan zur Gesundheitspolitik scharf zurück.

Hamburg. Die Reaktionen reichen von "unverantwortlich" über "skandalös" bis "menschenverachtend": Der Vorschlag deutscher Wissenschaftler, Patienten über 75 Jahren sollten keine teuren Behandlungen auf Kassenkosten mehr gewährt werden, hat einen Sturm der Entrüstung entfacht. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) nannte die Wissenschaftler "gesundheitspolitische Geisterfahrer". Es bleibe dabei: "Jeder bekommt, unabhängig von Alter, Geschlecht und Geldbeutel, auch in Zukunft das, was er medizinisch braucht", sagte Schmidt dem Abendblatt. Von einer Forderung, die "an Menschenverachtung kaum zu überbieten ist", sprach der Hamburger Mediziner Frank Ulrich Montgomery, Chef des Ärzteverbandes Marburger Bund. Im Abendblatt betont er: "Das ist mit der deutschen Ärzteschaft nicht zu machen." Noch schärfer formulierte Bundesärztekammer-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe: Die Einführung von Altersgrenzen in der Medizin "erinnert an Euthanasie unter anderen Vorzeichen". Dass diese Diskussion so möglich geworden sei, zeige, "in welcher ethischen Schieflage wir uns bereits befinden". Die umstrittenen Forderungen stammen vom Konstanzer Wirtschaftsprofessor Friedrich Breyer (52), Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums, und dem Bochumer Theologie-Professor Joachim Wiemeyer (49), Berater der katholischen Bischofskonferenz. Angesichts der steigenden Gesundheitskosten traten sie gestern in der ARD-Sendung "Report" dafür ein, dass ältere Patienten teure Eingriffe wie Herz- oder Krebsoperationen sowie Dialyse-Behandlungen nicht mehr von den Krankenkassen erstattet bekommen. Breyer brachte eine Altersgrenze von 75 Jahren ins Gespräch. Wiemeyer plädierte dafür, dass die knappen Mittel vor allem den Jüngeren vorbehalten werden, während man sich bei alten Patienten auf eine Schmerzbehandlung beschränken solle. CSU-Gesundheitsexperte Horst Seehofer nannte den Vorschlag verrückt. Es dürfe in Deutschland nie so weit kommen, dass man wegen des Alters nicht mehr am medizinischen Fortschritt teilhaben kann, sagte er der "Passauer Neuen Presse". Der Präsident des Sozialverbands VdK, Walter Hirrlinger, warf den beiden Professoren vor, sie wollten Gott spielen. "Sollen jetzt alle über 75-Jährigen zum Tode verurteilt werden?"