Entrüstung: Wie Patienten und Ärzte im UKE auf die Vorschläge reagieren.

Hamburg. Es ist ein Morgen wie jeder andere für Gerhard Fichte. Zumindest scheint es so. Der 75-jährige pensionierte Bademeister liegt auf der Gastroenterologie der Uniklinik Eppendorf, die Spezialbteilung für Magen- und Darmerkrankungen. Die Sonne scheint in das Drei-Bett-Zimmer, Fichte wartet auf seinen Zimmergenossen. Wie an jedem Morgen bringt dieser ihm die Tageszeitung. Dann der Schock: "Er knallte mir die Zeitung aufs Bett und sagte, ,so, jetzt kannste sterben!'" Gerhard Fichte will nicht glauben, was er da liest. Zur Diskussion stehen teure medizinische Leistungen, die in erster Linie dazu dienen, das Leben zu verlängern. Die Krankenkassen, so schlagen Experten vor, sollen diese Leistungen für Patienten, die älter sind als 75 Jahre, künftig nicht mehr tragen. "Ich fasse es nicht", sagt Fichte, "eine Gemeinheit, so etwas überhaupt zu denken." Am 19. Juni wird er 76 Jahre alt, er ist drahtig und lebenslustig. Und flachst im Sinne seines Zimmergenossen weiter: "75? Am besten gleich 'ne Spritze und ab in den Sarg." Auf dem hellen Flur der Station sitzt Mitpatientin Ursula Langecker (74) und klönt mit Schwester Sylvia Ahrens (44). Die beiden Frauen sind sich einig: "Das kann man doch nicht so krass an einem bestimmten Alter festmachen! Hier liegt eine Patientin, die ist 102 Jahre alt und fidel wie einst Queen Mum", erzählt die Krankenschwester. Ursula Langecker rechnet: "Noch ein Jahr und dann soll ich sterben, oder wie stellen die sich das vor?" Sie ist auf teure Tabletten angewiesen und könnte die nie selbst bezahlen. Sylvia Ahrens packt die Wut, während sie über die Konsequenzen der neuen Theorie nachdenkt. Zwei Klassen, Reiche können die Behandlung selbst bezahlen, Normalbürger müssen sterben? "Dann soll keiner über 75 behandelt werden, das wäre dann gerecht", führt sie den Gedanken ad absurdum. Im Ärztezimmer macht Assistenzärztin Heidimarie Radonich (34) gerade eine Pause. Unethisch findet sie die Diskussion um eine feste Altersgrenze. "Alle chronisch Kranken sind teuer, allein der Krankenhausaufenthalt." Ihr Kollege, Dr. Michael Bläker (36), pflichtet ihr bei: "Jeder Fall muss individuell betrachtet werden. Die Errungenschaft der Medizin, dass hohe Lebensqualität auch im Alter möglich ist, darf nicht an kategorischer Grenzziehung aus Kostengründen scheitern." Für Oberarzt Andreas de Weerth (42) kommt die Diskussion überhaupt nicht in Frage: "Unsere Verpflichtung ist es, alle Patienten angemessen zu behandeln", sagt er. Damit sei alles gesagt. Patient Gerhard Fichte nickt und lobt die gute Versorgung auf der Station. Gerade hat er ein medizinisches Bad bekommen. "Wunderbar", seufzt er gespielt theatralisch. "Sehen Sie, das wird auch bald gestrichen", scherzt de Weerth und legt seinen Arm um die Schulter des Patienten. Beide lachen, doch eigentlich ist niemandem danach zumute.