Der Bundespräsident hat bei seinem emotionalen Staatsbesuch sein Herz für Israel entdeckt. Im Westjordanland war er zurückhaltend.

Burin/Ramallah. Eine schwarze Trillerpfeife hält der Bundespräsident in seiner Hand. Gespannt warten jeweils fünf junge Frauen in weißen und rosa T-Shirts auf Joachim Gaucks Signal. Dann ertönt der Anpfiff. Schwungvoll wirft er einen Basketball in das Feld. Dann beginnt das Match, und schon bald trifft eine Spielerin zum ersten Mal in den Korb. Laut erklingen sogleich fünf Trommeln, freudestrahlend verfolgen über 100 Jungen und Mädchen das Spiel.

Es ist Donnerstagvormittag in Burin, acht Kilometer entfernt von Nablus, einem Ort im Westjordanland. Eben hat Joachim Gauck eine mit deutschen Hilfsgeldern geförderte Mädchenschule eröffnet. Nun werden dieses Ereignis und der "historische Besuch", wie er hier heißt, gefeiert, unter anderem mit dem Basketballspiel.

Nach seinem zweitägigen Staatsbesuch in Israel sind Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt am Morgen in die palästinensischen Autonomiegebiete aufgebrochen. Gauck hat schon in Israel immer wieder für eine Zwei-Staaten-Lösung geworben, die Haltung von Bundesregierung und EU erklärt und verteidigt. Und so ist dieser Besuch eine Konsequenz der von ihm vertretenen Politik. Doch hier, im Westjordanland, ist alles ganz anders als in Israel.

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Einen vergleichsweise harmlosen Eindruck der komplexen politischen Verhältnisse in der Region gewinnt der Bundespräsident schon während seiner Autofahrt. Mehrfach muss er an den Checkpoints den Wagen wechseln. Gauck startet in Jerusalem in einem israelischen Audi A8. In Huwwara, kurz vor dem Termin in der Mädchenschule, steigt er in einen in die Jahre gekommenen Mercedes mit palästinensischem Kennzeichen um, so ist es protokollarisch üblich. In den folgenden zwei Stunden sind zwei weitere Fahrzeugwechsel erforderlich. Verglichen mit den gigantischen Grenzsicherungsanlagen in der Region bekommt Gauck jedoch bis zum Nachmittag nur kleinere Grenzzäune zu sehen.

Herzlich ist der Empfang in Burin. An den Stromleitungspfosten wehen kleine deutsche und palästinensische Flaggen. "Burins Mädchenschule heißt Sie herzlich willkommen" ist auf einem Transparent zu lesen, das sie über den Eingang des Dorfes gehängt haben. In dem für den Nahen Osten charakteristischen hellen Sandstein erstrahlt die neue Schule. Ein riesiges Sonnensegel spendet an diesem heißen Tag etwas Schatten. Im Auftrag der Bundesregierung hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau das Gebäude errichtet. Zwölf Klassenräume sind entstanden, außerdem ein Spezialraum für Kunst, ein Chemielabor und eine Bibliothek. Knapp 500 Schülerinnen der Klassen eins bis zehn sollen hier unterrichtet werden. Die Schülerinnen aber sind für den Besuch des Bundespräsidenten auf die hinteren Reihen verbannt worden. Hinter Gauck und seiner Lebensgefährtin sitzen zunächst einheimische Männer. Kaum hat Gauck ganz vorn Platz genommen, da lässt eine Tonaufnahme die deutsche Nationalhymne aus den Lautsprechern scheppern. Es folgt die palästinensische Hymne. Ein Schüler tritt an das Mikrofon und singt einige Verse aus dem Koran.

Das Dorf Burin, beginnt die palästinensische Bildungsministerin Lamis al-Alami ihre Rede, "leidet ständig unter israelischer Besatzung". Sie beschwört die Freundschaft ihres Volkes zu den Deutschen, beklagt die israelischen Siedler und das "ständig beschlagnahmte Land". Joachim Gauck klammert sich während dieser Worte zunächst an sein Redemanuskript. Dann stützt er seine Hände auf die Oberschenkel, ganz so, als befinde er sich in einer Abwehrhaltung.

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Ein wenig ist das wohl auch so. Zwei Tage lang wurde Gauck in Israel herzlich empfangen, und er selbst zeigte Interesse, Zuneigung, ja Liebe zu dem Land. Emotional ging es immer wieder zu. Erkennbar berührt verlieh Gauck an den aus Deutschland stammenden israelischen Industriellen Stef Wertheimer das Bundesverdienstkreuz. Wenige Stunden später traf er Überlebende des Holocaust, und seine Gesprächspartner erlebten, wie der deutsche Bundespräsident einige Tränen vergoss. Gauck fühlt sich Israel zutiefst verbunden, durch seine Biografie und nun zumal als höchster Repräsentant des Volkes, das einst Millionen von Juden verfolgte und ermordete.

Natürlich, Gauck weiß um das Schicksal der Palästinenser. Die israelischen Siedlungen hat er in Israel kritisiert. Und doch gibt es dieses unsichtbare, aber doch zu spürende Band zwischen Gauck und Israel. Diese Nähe fehlt in den Palästinensergebieten. In Burin lobt Gauck den "schönen Tag, das schöne Wetter, das schöne Gebäude". Eher geschäftsmäßig geht es auch zu bei dem Auftritt Gaucks mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. "Der Frieden ist hier jetzt möglich", hatte Gaucks Vorgänger Christian Wulff nach seinem Besuch bei Abbas vor eineinhalb Jahren vorlaut verkündet. Gauck hält es anders. Angestrengt wirkt er, als Abbas etwa "Hindernisse beim Nahost-Friedensprozess" beklagt.

Bei der Pressekonferenz wird der Bundespräsident energisch, als ein deutscher Reporter fragt, ob er nicht die israelische Siedlungspolitik schärfer kritisieren müsse. "In angemessener Weise" trage er die Meinung der Deutschen vor. Dann stellt er nüchtern fest: "Israel würde sich schwertun, einen richtigen Lehrer aus Deutschland zu akzeptieren."

Zum Abschluss seines Besuchs hat Gauck zu einer Verhandlungslösung im Nahost-Konflikt aufgerufen. "Wir wollen den Frieden und unterstützen jeden, der dabei mitwirken kann", sagte er in der evangelischen Himmelfahrtskirche in Jerusalem. Die Stadt müsse zu einem Ort des Friedens und der gegenseitigen Verantwortung werden. "Deutschland steht in besonderer Verantwortung", fügte er hinzu.