Laut Brüderle soll Gorleben als Atommüll-Endlager zu Ende erkundet, die Suche aber auch auf den Süden Deutschlands ausgeweitet werden.

Hamburg. Hamburger Abendblatt: Die schwarz-gelbe Koalition hat die Energiewende beschlossen. Ist die Entscheidung unumkehrbar, spätestens 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz zu nehmen?

Brüderle: Die Wirtschaft braucht Investitions- und Planungssicherheit. Wir haben jetzt eine Jahreszahl, auf die sich jeder einstellen kann. Der FDP geht um Vernunft und Augenmaß. Auch die Ethikkommission hat festgestellt, dass dieses Ausstiegsziel ambitioniert, aber machbar ist.

Die Kanzlerin kopiert die Grünen – und die FDP macht mit...

Diese Deutung ist mir zu einfach. Schwarz-Gelb war schon auf dem Weg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien. Nach Fukushima gehen wir schneller dorthin. In der Öffentlichkeit gibt es eine erhöhte Sensibilität für die Gefahren der Kernkraft. Zugleich behalten wir die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Strom im Blick.

Die Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke war der große Sieg des Wirtschaftsministers Brüderle gegen den Umweltminister Röttgen. Haben Sie vor einem halben Jahr so falsch gelegen?

Es gab einen breiten Konsens in der Regierungskoalition. Wir haben unsere Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen getroffen. Dazu stehe ich. Nach der Katastrophe im Hochindustrieland Japan konnte niemand einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir dürfen dabei aber nicht übersehen, dass unsere Position in ihrer Konsequenz von kaum einer europäischen Regierung geteilt wird. Die Schweiz will 2034 aussteigen, andere bauen sogar neue Kernkraftwerke.

Sie klingen etwas neidisch.

Da müssen Sie sich verhört haben. Die Haltung der anderen erinnert uns aber daran, dass ein Land allein die Probleme der Sicherheit nicht lösen kann. Es gibt 145 Kernkraftwerke in der Europäischen Union, nur 17 stehen in Deutschland. Bei uns ist das zu spüren, was die Angelsachsen „German Angst“ nennen.

Schadet der schnellere Atomausstieg dem Industriestandort Deutschland?

Das muss nicht sein. Wichtig sind Ausgleichsmaßnamen für energieintensive Betriebe, wenn der Strompreis steigt. Jeder Bürger sollte wissen, dass die Entscheidung, innerhalb eines Jahrzehnts aus der Kernkraft auszusteigen, Konsequenzen hat: Energie wird wahrscheinlich teurer. Es muss mehr in Gebäudesanierung investiert werden. Wir brauchen neue Kohle- und Gaskraftwerke. Und der Ausbau des Stromnetzes bringt Eingriffe in die Natur mit sich. Ich erwarte, dass alle Nichtregierungsorganisationen, die gegen die Kernkraft demonstriert haben, jetzt den Leitungsbau unterstützen. Ich fordere neue Ehrlichkeit in der Energiepolitik.

Wie teuer wird die Energiewende?

Ich halte Berechnungen von Haushaltspolitikern, nach denen der schnellere Atomausstieg den Bundeshaushalt jährlich mit zwei Milliarden Euro belasten wird, für plausibel. Dazu kommen Kosten für die Verbraucher, die schwer zu beziffern sind.

Energiekonzerne erwägen, gegen die Brennelementesteuer zu klagen. Haben Sie dafür Verständnis?

In einem Rechtsstaat hat jeder das Recht, den Rechtsweg zu beschreiten. Ich bin mir sicher, dass unsere Entscheidung Bestand haben wird.

Warum wollen Sie die Energiewende am Bundesrat vorbei beschließen?

Das ist Verfassungslage. Unsere Verfassungsministerien – das Innen- und das Justizressort – sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gesetze zur Energiewende nicht zustimmungspflichtig sind. Wir halten uns an Recht und Gesetz. Von den Protesten der Opposition lassen wir uns dabei nicht irritieren.

Sollte die Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle ausgeweitet werden?

Der Standort in Gorleben muss ergebnisoffen zu Ende erkundet werden. Daneben könnte man andere Überlegungen stellen. Wenn Bayern und Baden-Württemberg nun bereit sind, auch bei sich nach geeigneten Standorten suchen zu lassen, sollten wir das Angebot annehmen. Für die Details sind Geologen zuständig.