Der gewaltsame ethnische Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken hält weiter an. Bisher kamen mindestens 100 Menschen ums Leben.

Osch/Kirgistan. Zwei Monate nach dem Machtwechsel in Kirgistan ist die Lage in Teilen der ehemaligen Sowjetrepublik völlig außer Kontrolle geraten. Blutige Zusammenstöße zwischen ethnischen Kirgisen und Angehörigen der usbekischstämmigen Minderheit eskalierten am Wochenende, die Zahl der Toten stieg auf weit mehr als 100. Mehr als 1.100 Menschen wurden verletzt. Brandstifter legten einen Großteil der zweitgrößten Stadt Osch in Schutt und Asche, Plünderer stahlen die meisten Nahrungsmittelvorräte.

Die Interimsregierung wies die Truppen an, Unruhestifter zu erschießen, dennoch hielt die Gewalt an. Triumphierende Kirgisen übernahmen am Sonntag die Kontrolle über Osch, die wenigen verbliebenen Usbeken verbarrikadierten sich in ihren Vierteln. Die Ausschreitungen griffen auch auf die Großstadt Dschalal-Abad und benachbarte Dörfer über, marodierende Gruppen zündeten gezielt Häuser und Geschäfte von Usbeken an. Auf der Suche nach Waffen wurden auch Stützpunkte von Streitkräften und Polizei überfallen. Die Sicherheitskräfte hielten sich weitgehend zurück.

In einem Dorf im Süden Kirgistans töteten ethnische Kirgisen etwa 30 Angehörige der usbekischstämmigen Minderheit. Ein Militärsprecher sagte der Nachrichtenagentur AP in der Hauptstadt Bischkek weiter, die blutigen Ausschreitungen hätten sich am Sonntag im Dorf Susak in der Region Dschalal-Abad ereignet. Ein weiteres usbekisches Dorf, Dostuk, sei von kirgisischen Angreifern angezündet worden. Die Zahl der Opfer dort sei unklar, sagte Sprecher Talaaibek Myrsabajew.

In der Stadt Dschalal-Abad versuchten Kirgisen laut Augenzeugen das Krankenhaus zu stürmen, wurden aber von Usbeken nach einer stundenlangen Schießerei zurückgeschlagen. Auf einer Straße in der Nähe der Stadt nahmen Usbeken rund 100 Kirgisen als Geiseln. Im nahegelegenen Dorf Basar-Kurgan zogen nach Angaben eines örtlichen Aktivisten bis zu 400 Usbeken durch die Straßen und stürzten Autos um. Ein Polizist sei getötet worden.

Die Zahl der Toten stieg nach Angaben des Gesundheitsministeriums vom Sonntag auf mindestens 84, 1.122 Menschen wurden verletzt. Die 30 in der Nähe von Dschalal-Abad Getöteten waren darin noch nicht enthalten. Nach Einschätzung von Menschenrechtsgruppen dürfte die tatsächliche Opferzahl noch weit höher liegen, weil viele ethnische Usbeken sich nicht ins Krankenhaus wagen. Tausende von ihnen flohen am Wochenende in Richtung Usbekistan. Auch Frauen und Kinder wurden laut Augenzeugen auf der Flucht erschossen, in den Straßen von Osch lagen Leichen.

Es handelt sich um die schwersten Ausschreitungen seit dem Sturz von Präsident Kurmanbek Bakijew im April. Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa bat Russland am Samstag um militärische Unterstützung. „Die Situation im Großraum Osch ist außer Kontrolle geraten“, erklärte sie. „Wir brauchen Truppen von außen, um die Zusammenstöße zu beenden.“ Der Kreml lehnte die Entsendung von Soldaten vorerst ab, sandte aber ein Flugzeug mit humanitärer Hilfe.

Otunbajewa machte die Familie Bakijews für die Unruhen in Osch verantwortlich. Bakijew hatte nach seinem Sturz das Land verlassen und hielt sich zuletzt in Weißrussland auf. Er wies die Vorwürfe aus seinem Exil zurück.

Spannungen zwischen Kirgisen und Usbeken gibt es in Kirgistan schon seit Jahrzehnten. 1990 kamen bei Konflikten zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen um Grundbesitz in der Region Osch mehrere hundert Menschen ums Leben. Nur durch den Einsatz der Roten Armee konnten die Kämpfe beendet werden. Kirgistan gehört bis heute einem von Russland geführten Sicherheitspakt an, der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit. Moskau verfügt zudem über einen Luftwaffenstützpunkt in Kirgistan.