Etliche Opfer wiesen Schussverletzungen auf. Die Menschen in den Straßen gingen mit Stangen und Brandsätzen aufeinander los.

Bischkek. Zwei Monate nach dem Umsturz in Kirgistan haben neuerliche Ausschreitungen mindestens 37 Menschen das Leben gekostet. Mehr als 500 Menschen wurden bis Freitagnachmittag bei Zusammenstößen zwischen ethnischen Kirgisen und Angehörigen der usbekischstämmigen Minderheit verletzt. Die Behörden verhängten wegen der Unruhen in der zweitgrößten Stadt Osch den Ausnahmezustand. Die Übergangsregierung entsandte Truppen und Panzerfahrzeuge nach Osch. Es waren die schwersten Unruhen seit dem Sturz von Präsident Kurmanbek Bakijew im April.

Viele Opfer hätten Schusswunden erlitten, sagte Gesundheitsministerin Jelena Bailinowa. Zahlreiche Häuser standen in Flammen. Mit Eisenstangen und Steinen bewaffnete junge Männer überfielen Geschäfte und steckten Autos in Brand. Besonders stark betroffen waren nach Angaben einer Nichtregierungsorganisation die Viertel der usbekischstämmigen Minderheit. Eine Straße sei vollständig zerstört, „Dutzende von Cafés und Gebäuden stehen in Brand“, sagte ein Vertreter der Koalition für Demokratie und Bürgergesellschaft, Bakit Omorkulow, der Nachrichtenagentur AP in einem Telefoninterview.

Die Lage in Kirgistan ist seit dem Sturz von Präsident Bakijew Anfang April gespannt, bei Unruhen kamen damals 85 Menschen ums Leben. Am 27. Juni wird in dem zentralasiatischen Staat in einem Referendum über eine neue Verfassung abgestimmt, und im Oktober stehen Parlamentswahlen an. Auf einer Sicherheitskonferenz im benachbarten Usbekistan zeigten sich der russische Präsident Dmitri Medwedew und der chinesische Staatschef Hu Jintao am Freitag besorgt über die Lage in Osch und sagten der Regierung Unterstützung bei einer Beruhigung der Lage zu.

Übergangspräsidentin ruft zu Ruhe auf

Der Ausnahmezustand soll nach Regierungsangaben bis zum 20. Juni gelten. Von 20.00 Uhr bis 06.00 Uhr wurde ein Ausgehverbot verhängt. Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa rief in einer Fernsehansprache zur Ruhe auf. Sie appelliere vor allem an die Frauen, sagte Otunbajewa: „Liebe Schwestern, findet die richtigen Worte für eure Söhne, Männer und Brüder. In der derzeitigen Lage ist es inakzeptabel, sich Gefühlen von Vergeltung und Wut hinzugeben.“

Ein Krankenhausarzt in Osch warnte, die Zahl der Opfer könnte noch steigen. Viele ethnische Usbeken wagten nicht, ihre Verletzten ins Krankenhaus zu bringen, sagte der Arzt: „Alle Betten in unserem Krankenhaus sind belegt, aber 90 Prozent der Patienten sind Kirgisen, weil die Usbeken Angst vor den Angehörigen der kirgisischen Opfer haben.“

Was die Unruhen auslöste, war zunächst unklar. Die Gewalt griff am Freitag auch auf die Hauptstadt Bischkek über: Auf einem beliebten Markt wurden Angehörige der usbekischstämmigen Minderheit von wütenden Kirgisen angegriffen und ausgeraubt.