Mit der Einfuhrbeschränkung schafft Putin vor allem sich selbst Probleme. Während Lebensmittel in Russland teurer werden könnten, sehen die Konsequenzen für den Westen anders aus.

Moskau. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Kreml-Chef Wladimir Putin auf die westlichen Sanktionen reagieren würde. Die bereits vor einiger Zeit von Russland beschlossenen Einfuhrverbote für polnische Äpfel und Rindfleisch vom Balkan waren noch mit Hygienemängeln und Verbraucherschutz begründet worden. Die am Mittwochabend verkündete einjährige Importbeschränkung für europäisches Obst und Gemüse hingegen sowie für Agrarprodukte wie Milch und Fleisch aus der EU, den USA, Kanada, Australien, Schweiz und Japan bezeichnete Russland unverhüllt als Reaktion auf die westlichen Sanktionen.

Ob nun auch die zuvor kolportierten Überflugverbote für europäische Luftlinien folgen, ist offen. Sollte es dazu kommen, habe die EU das Recht, ihrerseits russischen Fluglinien den europäischen Luftraum zu sperren, sagte Richard Kühnel, Vertreter der EU-Kommission in Deutschland, gegenüber der Deutschen Welle.

Auch wie weit Russland bei der Importbeschränkung – partiell oder total – von Agrarprodukten geht, wird im Detail erst später klar werden, wenn das Land – wie angekündigt – die „komplette Liste“ der Produkte vorlegt. Er denke, dass der Früchte- und Obstimport aus der EU gänzlich verboten werde, erklärte Alexej Alexejenko, Berater der russischen Agraraufsichtsbehörde.

Eindeutig verboten werde der Import von Hühnerfleisch aus den USA. Es war seit dem Ende der Sowjetunion ein wichtiges und erschwingliches Importgut und hatte im Volksmund als „Bushs Beine“ („noschki Busha“) Berühmt- und Beliebtheit erlangt.

Bei Hühnerfleisch kann Russland sich mittlerweile weitgehend selbst versorgen, bei Schweinefleisch und Rind noch nicht. Nicht auf der Embargoliste stünden Wein und Kindernahrung, hieß es aus Beamtenkreisen gegenüber russischen Medien.

Bei aller Demonstration von Kraft und Ebenbürtigkeit mit dem Westen geht Russland angesichts seiner wirtschaftlichen Flaute bedächtig vor. Als Prinzip gelte, dass der Import dort beschränkt werde, wo man ihn durch eigene Produktion oder alternative Lieferanten leicht ersetzen könne, sagte ein Beamter der russischen Wirtschaftszeitung „Wedomosti“. Und in Putins Dekret heißt es, dass die Liste geändert werden könnte und die zuständigen Behörden für die Existenz eines ausgewogenen Warenangebots sorgen sowie einen Preisanstieg im Inland verhindern sollen.

Schon nach der Verhängung des Importverbots für polnische Äpfel und Birnen – sie deckten immerhin ein Drittel des russischen Äpfel- und Birnenimports – hatte Jelena Tjurina, Direktorin des russischen Instituts für Agrarmarketing, eine Preiserhöhung von 30 bis 40 Prozent prophezeit. Die Zentralbank hat diese Woche gewarnt, dass die Importbeschränkungen die Inflationserwartung antreiben.

Allein die im Frühjahr verhängten Importbeschränkungen für Schweinefleisch hätten die diesbezüglichen Preise um 20 Prozent gehoben, rechnete die Investmentbank VTB-Capital vor. Ökonomen sprechen angesichts des Nullwachstums bereits von einer Stagflation. Am Dienstag hatte Putin auf einer Sitzung des Staatsrates daher zur Vorsicht bei Gegenmaßnahmen gewarnt: „Man muss das äußerst vorsichtig angehen, damit man die einheimischen Produzenten unterstützt und die Konsumenten nicht schädigt.“

Nach Angaben des Brancheninformationsdienstes FruitNews deckt europäisches Gemüse 14 Prozent des russischen Gemüsemarktes; europäisches Obst mache 20 Prozent des russischen Obstmarktes aus. Aus Europa kommen außerdem große Mengen an Milchprodukten, wohingegen die USA viel Vieh und Fleisch nach Russland exportieren.

Insgesamt hat Russland im Vorjahr laut Zollamt Lebensmittel für 43 Milliarden Dollar (13,4 Prozent des gesamten Imports) importiert. Zumindest ein Zehntel des Imports an Agrarprodukten und Lebensmitteln könnte beschränkt werden, was einem jährlichen Warenwert von vier Milliarden Dollar entspräche, so die russische Tageszeitung „Kommersant“. Auf dem EU-Binnenmarkt könne dies zu einem steigenden Angebotsdruck führen, sagte der Vizegeneralsekretär des Deutschen Bauernverbands, Udo Hemmerling. Nicht ausgeschlossen ist, dass in Deutschland bald bestimmte Lebensmittel günstiger werden, da osteuropäische Produzenten ausweichen und billigere Äpfel und Fleisch auf den mitteleuropäischen Markt werfen könnten.

Die Doktrin der russischen Lebensmittelsicherheit sieht vor, dass das Land sich bei Fleisch zu 85 Prozent selbst versorgen muss. Bei Milchprodukten zu 90 Prozent, bei Fisch zu 80 Prozent und bei Kartoffeln zu 95 Prozent. Bei einzelnen Kategorien wurden die Prozentsätze laut Landwirtschaftsministerium nicht erreicht. Das Land macht sich deshalb keine Illusionen, dass man den Importausfall schnell selbst ersetzen könnte.

Als mögliche Ersatzlieferanten hat Russland daher Staaten Südamerikas auserkoren, allen voran Brasilien. Im Handumdrehen hat Moskau Dutzenden brasilianischen Unternehmen aus der Fleischzucht die Exporterlaubnis nach Russland erteilt. Neue Lieferanten könnten auch Länder in Südostasien, im Nahen Osten sowie die Türkei sein. „Die Regale in Russland werden nicht leer stehen“, sagte Oxana Dmitrieva vom Duma-Budgetausschuss: „Die Frage ist, von wem und mit welcher Produktqualität sie gefüllt werden.“ Für die Umstellung brauchen die Handelskonzerne ein bis zwei Monate, sagte Andrej Karpow, Direktor des russischen Handelsverbandes.

Im Schnitt machen Importprodukte im russischen Lebensmittelhandel 25 bis 30 Prozent des Umsatzes aus, wobei bei einzelnen Produkten wie Käse der Anteil über 50 Prozent steigt, so das Wirtschaftsministerium. Für Discounter wird sich wenig ändern, da sie schon bisher stark auf russische Produkte und Import aus Billiglohnländern gesetzt hatten. Überhaupt macht man sich in Russland wenig Sorgen, dass es zu Engpässen bei der Versorgung kommen könnte. Was Unternehmer am ehesten beschäftigt, ist der reibungslose Import von westlicher Technologie und Anlagen, für die bisher schwer ein Ersatz zu finden ist.