Außenminister Lawrow nennt das Beispiel Georgien-Krieg, sollten Moskaus Interessen in seinem südwestlichen Nachbarland verletzt werden

Moskau/Slowjansk. Russland hat im Fall einer Verletzung russischer Interessen in der Ukraine mit einer „Antwort“ gedroht und dabei zum Vergleich auf den Georgien-Krieg von 2008 verwiesen. Würden „die Interessen der Russen angegriffen, so wie es in Süd-Ossetien war“, sehe er keine Alternative zu einer „Antwort“, sagte Russlands Außenminister Sergej Lawrow am Mittwoch dem Sender RT. „Ein Angriff auf russische Bürger ist ein Angriff auf Russland“, sagte Lawrow in Anspielung auf die russisch verwurzelte Bevölkerung in der Ostukraine. Um die abtrünnige Kaukasusregion Süd-Ossetien hatten Russland und Georgien 2008 einen kurzen Krieg geführt. In der Folge erkannte Russland das Gebiet sowie die ebenfalls von Georgien abtrünnige Region Abchasien als unabhängig an.

Die russischen Streitkräfte haben am Mittwoch in der Region Rostow an der Grenze zur Ukraine ein Manöver abgehalten. Einzelheiten dazu wollte ein Sprecher des Militärbezirks Süd nicht nennen. Auf Bildern von Reuters TV waren unter anderem gepanzerte Mannschaftswagen, Jeeps und Raketenwerfer auf einem Luftwaffenstützpunkt zu sehen. Russland hat die Zahl seiner Militärmanöver seit Beginn der Ukraine-Krise erhöht. Erst am Morgen hatte die Nachrichtenagentur Interfax gemeldet, dass ein siebentägiges Manöver begonnen habe, an dem auch die Marine im Kaspischen Meer beteiligt sei. Nach Schätzungen der Nato hat Russland seit Beginn der Ukraine-Krise etwa 40.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland zusammengezogen. Die USA haben wiederholt verlangt, die Einheiten abzuziehen. Die russischen Streitkräfte sind denen des Nachbarlandes deutlich überlegen.

Vor fast zwei Wochen hatten prorussische Bewaffnete rund ein Dutzend ostukrainische Städte überrannt und mehrere Verwaltungsgebäude besetzt. Am Dienstag hatte Kiew die Wiederaufnahme des Anti-Terror-Einsatzes der Sicherheitskräfte im Osten der Ukraine angeordnet. Der Einsatz war über Ostern ausgesetzt worden. Hauptaufgabe des Militäreinsatzes in der Ostukraine sei, friedliche Bürger vor Banden zu schützen, betonte die Regierung. Die Entwaffnung prorussischer Uniformierter dauere an, hieß es. Der Mitteilung zufolge sind bereits 6000 Waffen beschlagnahmt worden. Moskau hatte eine Beteiligung an gewaltsamen Aktionen der prorussischen Uniformierten stets bestritten.

US-Außenminister John Kerry zeigte sich in einem Telefonat mit Lawrow nach Angaben eines US-Diplomaten „extrem besorgt“ über „das Fehlen positiver russischer Maßnahmen für eine Deeskalation“ in dem Konflikt. Kerry habe zudem mit einer Verschärfung der Sanktionen gegen Russland gedroht, wenn es keine Fortschritte bei der Umsetzung der Genfer Vereinbarung gibt, sagte der hochrangige Diplomat in Washington. Kerry, Lawrow, der amtierende ukrainische Außenminister Andrej Deschtschyzja und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hatten in der vergangenen Woche in Genf ein Abkommen ausgehandelt, das die „Entwaffnung illegaler bewaffneter Gruppen“ in der Ukraine sowie die Räumung besetzter Gebäude vorsieht. Neue Gewalt in der Ukraine hatte am Osterwochenende die Hoffnung auf eine schnelle Lösung des Konflikts aber zunichte gemacht. Die USA werfen Russland vor, die Unruhen in der Ostukraine anzuheizen. Dies weist Moskau kategorisch zurück und fordert seinerseits die Entwaffnung rechter Milizen im Westteil der Ukraine.

In der Stadt Slowjansk halten prorussische Gruppen seit Dienstag den US-Journalisten Simon Ostrovsky fest. Er soll sich in den Gebäuden des Geheimdienstes SBU befinden. Das US-Außenministerium zeigte sich „beunruhigt“ angesichts der Berichte über die „Entführung“. In der Stadt Krasnodon besetzten etwa 2000 streikende Bergarbeiter ein Bürogebäude und hissten die Fahne der Separatisten. Die Streikenden fordern bis zu 25 Prozent mehr Lohn. Die betroffenen Minen gehören dem reichsten Ukrainer, dem Oligarchen Rinat Achmetow.

Auch der Dialog der Bundesregierung mit Russland wird angesichts der sich verschärfenden Krise um die Ukraine immer schwieriger. Nach der Annexion der Krim durch den Kreml hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Kontakt zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin auf inoffizielle Telefonate beschränkt. Die für diese Woche in Leipzig geplanten Regierungskonsultationen sagte die Kanzlerin ab. Gerade in schwierigen Zeiten, findet dagegen Merkels Parteifreund Lothar de Maizière, müsse man auf Dialog setzen. Es gelte Brücken zu bauen, gerade in der Krise: „Wir lassen den Gesprächsfaden nicht abreißen.“ Der letzte Ministerpräsident der DDR ist deutscher Vorsitzender des Petersburger Dialogs, einem 2001 von Putin und Ex-Kanzler Gerhard Schröder gegründeten deutsch-russischen Gesprächsforum. Der Dialog, auf russischer Seite von dem Ex-KGB-Offizier und amtierenden Gazprom-Vize Waleri Golubjew geführt, kommt jährlich zusammen.

An diesem Mittwoch trafen sich turnusgemäß rund 200 deutsche und russische Vertreter aus Gesellschaft und Politik in Leipzig, um miteinander zu reden. Das Problem an diesem Gesprächsformat, so finden allerdings manche Kritiker, ist seine Zusammensetzung. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Andreas Schockenhoff zum Beispiel, selbst Mitglied des deutschen Lenkungsausschusses, sagte: „Der Petersburger Dialog ist kein unabhängiges Gesprächsforum mehr.“ Der Kreml steuere, wer von russischer Seite an dem Forum teilnehmen dürfe und wer nicht. Putin-Kritiker kämen jedenfalls nicht zu Wort. „Die Breite der russischen Zivilgesellschaft ist dort nicht vertreten. Gerade darin aber läge die Chance, über Politik und Wirtschaft hinaus mit Russland Beziehungen aufzubauen. Diese Chance wird von der russischen Führung nicht nur nicht gewollt, sondern auch unterbunden.“

Auch an der Besetzung des deutschen Lenkungsausschusses gibt es Kritik. Nach dem Rückzug der Russland-Skeptiker wird er von Wirtschaftsvertretern und Russland-Freunden dominiert. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sieht mit Alexander Rahr, Forschungsdirektor des Deutsch-Russischen Forums und „Senior Adviser“ der in Russland engagierten Wintershall Holding, gar einen Lobbyisten des Kreml am Werk. Der Petersburger Dialog sei im Prinzip begrüßenswert, findet Brok, werde aber „durch Leute wie Rahr unterwandert“. Auch der grüne Europapolitiker Werner Schulz sieht Rahr kritisch. Er propagiere die Strategie von Putin, Russland als strategische Rohstoffmacht auszurichten: „Herr Rahr agiert in Deutschland als eine Art Einflussagent des Kreml.“