Tschechiens neues Staatsoberhaupt Milos Zeman verdankt seinen Erfolg auch einer Angstkampagne bei den Wählern im Grenzgebiet.

Prag. Einige Wochen wird es noch dauern, bis die blaue EU-Flagge wieder über der Prager Burg weht, der Residenz des tschechischen Präsidenten. Anfang März zieht dort der frisch gewählte Europa-Freund Milos Zeman ein. Er löst nach zehn Jahren Amtszeit den radikalen EU-Gegner Vaclav Klaus ab, der die Fahne auf der Burg verboten hatte. Doch ob dem Flaggenwechsel ein echter Politikwechsel im Herzen des Kontinents folgt, ist offen. Denn trotz aller Unterschiede sind sich der Rechtspopulist Klaus und der Linkspopulist Zeman in ihrem Machtverständnis nicht unähnlich - vor allem in den aggressiven Angriffen gegen den politischen Gegner.

In der Stichwahl am Freitag und Sonnabend wählten die Tschechen den 68 Jahre alten ehemaligen Regierungschef mit rund 55 Prozent der Stimmen zum neuen Präsidenten. Zeman hatte seinen Kontrahenten, den liberal-konservativen Fürst Karel Schwarzenberg in den vorangegangenen beiden Wochen immer wieder frontal angegriffen. In den Augen seiner Kritiker untergrub er damit schon im Voraus die Würde des angestrebten Amtes.

Vor allem warf der bekennende Linke Zeman dem konservativen Fürsten mangelnden Patriotismus vor. Der 75 Jahre alte Chefdiplomat, der während des Kommunismus 40 Jahre lang im Exil gelebt hatte, hatte die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg in einem TV-Duell mit Zeman als Unrecht bezeichnet. Zeman nannte Schwarzenberg daraufhin einen "vaterlandslosen Gesellen". Zemans Kampagne machte nicht einmal vor der Frage halt, ob Schwarzenbergs österreichische Frau als tschechische "First Lady" tragbar sei.

Zeman spielte im Wahlkampf mit der sensiblen deutsch-tschechischen Geschichte: Glänzend manipulierte er vor allem die Tschechen im Grenzgebiet, denen er einen gehörigen Schrecken einjagte, dass sie unter einem Präsidenten Schwarzenberg um ihre Häuschen fürchten müssten. Schwarzenberg wolle den Sudetendeutschen alles wieder in den Rachen werfen, was sie bei der Vertreibung nach dem Krieg verloren hatten. Die Botschaft verfing: Das Grenzland, in der ersten Wahlrunde neben der Hauptstadt Prag noch Schwarzenbergs Terrain, schwenkte in der Stichwahl massiv zum Zeman-Lager um. Dazu gesellten sich allerorts die sozial Benachteiligten, die mit der Wahl Zemans der unbeliebten bürgerlichen Regierung mit Schwarzenberg als Vizepremier eins auswischen wollten.

Mit den Verordnungen des Nachkriegspräsidenten Edvard Benes (1945 bis 1948) wurden nach dem Zweiten Weltkrieg die Vertreibung und Enteignung der Sudetendeutschen geregelt. Dabei seht die große Mehrheit des Landes, vor allem die jungen und besser gebildeten Tschechen, die Vertreibung der Sudetendeutschen heute genauso als völkerrechtswidrig an, wie es Schwarzenberg formulierte.

Zeman wird nach dem Polarisierer Klaus kaum als Versöhner in die Prager Burg einziehen. Das machte er noch am Wahlabend klar: "Ich will ein Präsident der unteren zehn Millionen sein", sagte der ehemalige Sozialdemokrat, der seiner Partei im Streit den Rücken gekehrt hatte. Der Satz konnte nur als Kampfansage an die "oberen 500.000" der 10,5 Millionen Tschechen verstanden werden. Wiederholt hatte Zeman im Wahlkampf von seiner Vision gesprochen, eine "relativ hohe Besteuerung" vor allem der Gutverdiener in Aussicht gestellt.

Die Einlassungen des künftigen Staatsoberhaupts deuten darauf hin, dass Tschechien politisch turbulente Zeiten bevorstehen könnten. Nach der Verfassung verfügt der Präsident zwar über wenig Gestaltungsmacht. Die Gesetzgebung liegt in den Händen der Abgeordneten und damit der Regierungsmehrheit. Allerdings kann der Staatschef das Parlament auflösen, den Ministerpräsidenten entlassen und Gesetze per Veto zumindest ausbremsen. Vaclav Klaus hatte von diesen Rechten immer wieder Gebrauch gemacht oder zumindest damit gedroht. Mehr als einmal stürzte er das Land auf diese Weise in innenpolitische Krisen. Zeman werde sich "durch regelmäßige Auftritte in Kabinett und Parlament" in das politische Tagesgeschäft einmischen, kündigte er an.

Der konservative Regierungschef Petr Necas mahnte nach Zemans Wahlsieg sogleich: "Vorrangige Aufgabe des neuen Präsidenten ist es, das Land zu einen." Davon jedoch will Zeman nichts wissen. Ein linker Politiker wie er sei "zwangsläufig ein Gegner einer rechten Regierung", sagte er und nannte vorgezogene Parlamentswahlen als vorrangiges Ziel seiner Arbeit.

Das reine Repräsentieren ist Zemans Sache sowieso nicht. Was er selbst unter einem "Polit-Profi" versteht, hat er während seiner Zeit als Ministerpräsident einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung in den Jahren 1998 bis 2002 vorgeführt. Mit dem damaligen Oppositionsführer Klaus schloss er eine Art Nichtangriffspakt und organisierte die Regierungspolitik in Kamingesprächen im Hinterzimmer. Das Ergebnis: umfangreiche Privatisierungen der postkommunistischen Wirtschaft, deren Profiteure auch im direkten Umfeld von Klaus und Zeman zu suchen waren.

Viele Tschechen erinnern sich an diese Phase, die in Prag oft als "bleierne Zeit" bezeichnet wird, nur ungern. Umso überraschender war der deutliche Erfolg Zemans im Duell mit Schwarzenberg, den der Verlierer anerkannte. "Zehn Prozent sind ein klarer Unterschied", sagte Schwarzenberg. "Mein Team hat tapfer gekämpft, und es hat nie gelogen." Der zweite Halbsatz war ein kaum verhüllter Vorwurf an die Adresse Zemans, dem der Fürst seine Patriotismus-Kampagne übelnahm.

Tatsächlich dürfte der Streit um die Vertreibung der Sudetendeutschen den Ausschlag zugunsten Zemans gegeben haben. Schwarzenbergs Kritik an den Enteignungen nach 1945 "schürten bei den Menschen die Befürchtung, dass er sich für die Rückgabe von Eigentum einsetzen würde", so der Meinungsforscher Jan Tucek. Sein Fazit: "Es ist Schwarzenberg nicht gelungen, seinen Standpunkt deutlich zu machen."