Mehr als 350.000 Malier sind auf der Flucht. Aber Menschen sind sich einig: Gräueltaten der Rebellen haben mit Religion nichts zu tun.

Bamako. Yacouba Souleyman ist weit weg von Zuhause. 1300 Kilometer trennen ihn von seiner Heimatstadt Ansongo im Nordosten Malis. Erst gab es einen Militärcoup im Süden, dann fielen islamische Terroristen in seine Heimatregion ein. Seit zehn Monaten flieht der

26-Jährige von einem Ort zum anderen, immer auf der Suche nach Frieden und Sicherheit. Derzeit arbeitet er als Angestellter an einem College in der Hauptstadt Bamako. „Es war unmöglich, im Norden zu bleiben“, sagt er.

Denn seit brutale Islamisten im März 2012 die Kontrolle in der Region übernommen haben, ist nichts mehr, wie es einmal war. „Diese Kriminellen haben schwere Verbrechen begangen. Sie haben kleine Mädchen vergewaltigt“, erzählt Souleyman. Dann ruft er wütend: „Dieses Verhalten ist nicht muslimisch!“

Der junge Mann ist einer von Hunderttausenden Binnenvertriebenen, die nach dem Vorrücken der Extremisten ihre Heimatstädte verlassen haben. Viele weitere sind in Nachbarländer wie Mauretanien, Burkina Faso und Niger geflüchtet, oft kommen sie zu Fuß in den staubigen Camps an. Seit Malier und Franzosen vor knapp zwei Wochen gemeinsam eine Militäroffensive gegen die Rebellen gestartet haben, hat der Flüchtlingsstrom noch weiter zugenommen. Schätzungen zufolge sind seither weitere 10 000 Menschen auf der Flucht, innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen.

Internationale Hilfsorganisationen machen sich zunehmend Sorgen, dass die Intervention vor allem verheerende humanitäre Folgen haben könnte. Weitere Menschen könnten vertrieben und Hilfsgüter blockiert werden, warnt Ilaria Allegrozi, die für die britische Organisation Oxfam in Bamako tätig ist.

Noch schlimmer ist es aber für diejenigen, die im Norden bleiben müssen, weil sie weder Geld noch Transportmöglichkeiten haben. Zudem sind vermutlich zahlreiche Zivilisten bei den Luftangriffen und Zusammenstößen zwischen Militär und Islamisten verletzt worden – eine genaue Zahl gibt es bisher nicht. „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) forderte bereits vor Tagen, medizinische Versorgung für Verwundete zu gewährleisten. „Wir rufen alle Konfliktparteien dazu auf, sowohl die zivile Bevölkerung als auch humanitäre Organisationen zu respektieren“, erklärte der örtliche MSF-Direktor Malik Allaouna.

Dennoch: Die Unterstützung für die Militärmission aus Paris ist riesig. Die Malier lebten bis vor zehn Monaten in einer afrikanischen Vorzeigedemokratie und folgten einem eher moderaten Islam. Die meisten finden es unerträglich, sich jetzt von religiösen Fanatikern vorschreiben zu lassen, was sie anziehen und welche Musik sie hören dürfen – einmal ganz zu schweigen von den gruseligen Bestrafungen inklusive Amputationen und Auspeitschungen.

Auch Souleyman wurde Zeuge, wie derzeit in Nord-Mali eine strenge Auslegung der Scharia durchgesetzt wird: Als er im Sommer seine Mutter in dem Ort Karou – 190 Kilometer südlich der strategisch wichtigen Stadt Gao – besuchte, durften Männer ihre Hosen nicht länger als bis zu den Knöcheln tragen – das geht auf die Sitten zuzeiten des Propheten Mohammed zurück; Frauen mussten sich verhüllen. Wer gegen die Regeln verstieß, wurde verprügelt.

Wie viele seiner Landsleute wehrt sich Souleyman denn auch gegen das Wort „Islamisten“ als Beschreibung für die Extremisten. Mit Glauben und muslimischer Religion habe das alles wenig zu tun, meint er. Der Einsatz der Franzosen sei deshalb richtig: „Wir sind sehr dankbar und hoffen, dass sie ihre Mission erfüllen werden.“