Algerische Armee soll islamistische Entführer und ihre Geiseln mit Hubschraubern angegriffen haben. 35 Geiseln und 15 Entführer getötet.

Paris. Bei einem Versuch der algerischen Armee, die von islamistischen Terroristen festgehaltenen Geiseln in einer Gasförderanlage im ostalgerischen Tigouentourine zu befreien, sind nach Angaben der Terroristen 35 Geiseln und 15 Entführer getötet worden. Angeblich hat die Armee Fahrzeuge der Entführer auf dem Raffineriegelände aus Hubschraubern beschossen, als diese versuchten, die Geiseln aus einem Teil der großflächigen Industrieanlage in einen anderen zu verlegen. Dies behaupteten Sprecher der Entführer.

Unter den Geiseln sind neben Einheimischen auch norwegische Angestellte der Förderanlage, britische Staatsbürger, Franzosen, Japaner und vermutlich auch Amerikaner. Auch die französische Regierung bestätigte, dass ein Militärschlag durch algerische Streitkräfte durchgeführt werde. Die algerische Internetseite Algérie Focus berichtete gegen 16 Uhr, die algerische Armee habe die Kontrolle über die Anlage gewonnen. Die algerische Nachrichtenagentur APS meldete, vier Geiseln, ein Franzose, ein Kenianer und zwei Briten seien befreit worden.

Seit Mittwochmorgen, fünf Uhr, hielten die Entführer einer Untergruppierung der islamistischen Organisation al-Qaida im islamischen Maghreb (Aqim) 150 algerische und 41 ausländische Angestellte der Gasförderanlage des BP-Konzerns in der Nähe von In Amenas gefangen. Bei der Besetzung der Anlage waren ein Brite und ein Algerier getötet worden. Mehr als 24 Stunden nach der Attacke der islamistischen Terroristen war die Lage in der Raffinerie am Donnerstag äußerst unübersichtlich. Die Anlage befindet sich in dem Wüstenfleck Tigouentourine, etwa 40 Kilometer außerhalb der Ortschaft In Amenas, rund 1500 Kilometer südöstlich von Algier und in der Nähe zur libyschen Grenze.

Algerische Medien meldeten am Donnerstagmorgen, dass es 15 bis 25 Geiseln gelungen sei, aus der Anlage zu fliehen. Unter den geflohenen sei auch ein französisches Ehepaar, berichtete der französische Nachrichtensender I-Tele. Auch zwei Japaner seien entkommen. Kurz darauf gingen Meldungen ein, Hubschrauber der algerischen Armee hätten das Gelände unter Feuer genommen. Der algerische Journalist Faycal Metaoui, Kommentator bei der der Tageszeitung "Al-Watan", sagte dem französischen Nachrichtensender BFM-TV, die Meldungen seien von den algerischen Behörden noch nicht bestätigt worden und mit Vorsicht zu behandeln. Metaoui bezweifelte, dass die Armee eine Gasförderanlage aus der Luft bombardiert habe.

"Die Lage ist sehr verwirrend und entwickelt sich von Stunde zu Stunde. Jede Erklärung könnte bereits von der Realität überholt sein", sagte der französische Präsident François Hollande bei einer Pressekonferenz mit dem portugiesischen Premier Pedro Coelho, der zu Besuch in Paris weilte. "Ich habe das Leben der französischen Staatsbürger im Sinn. Auf dem Gelände befanden sich und befinden sich immer noch einige. Darüber hinaus werde ich nichts sagen, was ihr Leben in Gefahr bringen könnte." Hollande sagte weiter, er habe "volles Vertrauen" in die algerischen Behörden und werde sich mit dem algerischen Präsidenten Bouteflika über die Lage austauschen.

Der algerische Innenminister Daho Ould Kabila hatte zuvor betont, die Regierung "geht nicht auf die Forderungen der Entführer ein und lehnt Verhandlungen ab". Die Geiselnehmer hätten offenbar den Plan, die Anlage mit den Geiseln zu verlassen und über die Grenze nach Libyen zu fliehen. Das werde man nicht zulassen. Die Geiselnehmer hatten zuvor erklärt unter dem Kommando von Mokhtar Belmokhtar zu stehen, einem langjährigen Führer der Aqim, der die Ausweitung des Operationsgebiets der Dschihadisten in den Mali maßgeblich vorangetrieben hat. Der 41-Jährige ist den algerischen Behörden auch unter dem Namen Khaled Abboul Abbas als führender Kopf der Wüsten-Salafisten bekannt und soll für zahlreiche Entführungen verantwortlich sein. Seine beherrschende Stellung im Schmuggelgeschäft durch die Sahara brachte ihm den Spitznamen "Mr. Marlboro Man" ein.

Seit einigen Wochen jedoch wurde in Algerien bereits kolportiert, Mokhtar habe sich vom algerischen Teil der Aqim, der "Salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf", abgespalten, um seine eigene Kampftruppe zu kommandieren. Diese "Katiba" operiert nun unter dem Namen "Die mit Blut unterzeichnen" - und zeichnet nun für den Anschlag auf die Raffinerie verantwortlich. Anführer der Geiselnehmer in der Raffinerie soll Abu al-Baraa gewesen sein, der nach algerischen Agenturmeldungen beim Angriff der algerischen Truppen ebenfalls getötet wurde.

Die Gruppe behauptet in ihrer Erklärung, vom Norden Malis aus nach Algerien eingedrungen zu sein. Mokhtar hatte in der Vergangenheit Terroranschläge für den Fall eines französischen Eingreifens in Mali angedroht. Sicherheitsexperten sind jedoch skeptisch, ob es sich bei dem Anschlag wirklich um eine eher spontane Reaktion auf die Entsendung französischer Truppen nach Mali handelt. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des französischen Parlaments, Patricia Adam, sagte, ein Angriff dieser Größenordnung müsse von langer Hand geplant worden sein. Auch die algerische Zeitung "Liberté" hält eine spontane Aktion für unwahrscheinlich und wundert sich über die "Leichtigkeit, mit der eine terroristische Gruppe in die Zone eindringen konnte, die als besonders geschützt und hoch gesichert galt." Das lege den Verdacht nah, dass es sich um eine "Schläfer-Zelle" handeln könnte, die erst im Verlauf der Entwicklung in Mali aktiviert wurde. Möglicherweise, so spekuliert "Liberté" weiter, diene der Anschlag auch dem Ziel, Algerien in einen Konflikt hineinzuziehen, aus dem es sich bislang habe heraushalten wollen.

Der Islamismus-Experte Dominique Thomas von der Pariser École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHSS) glaubt, Ziel des Anschlags sei es, "den Konflikt zu internationalisieren". Die Extremisten wollten alle Feinde des Dschihad treffen, sowohl die westlichen als auch die Nachbarländer, die die Offensive Frankreichs und der internationalen Gemeinschaft in Mali unterstützen. Belmokhtar hat stets einen globalen Dschihad vertreten, auf einer Linie mit der Aqim.