Das Abendblatt erklärt in einer Serie die gefährlichsten Krisenherde der Welt. Heute: Der Kampf gegen die Drogenkartelle von Mexiko.

Hamburg. Im Vietnamkrieg, den die USA in den acht Jahren von 1965 bis 1973 mit regulären Kampftruppen führten, starben allein auf amerikanischer Seite mehr als 58.000 Soldaten. Direkt jenseits der US-Grenze, in Mexiko, tobt ein heimtückischer Krieg, der in den sechs Jahren seit 2006 bereits 60.000 Todesopfer gefordert hat. Und ein Ende der Gefechte und Massaker im sogenannten Drogenkrieg ist nicht in Sicht. Mexiko steht mit fast zwei Millionen Quadratkilometer Fläche (Deutschland: 357.000) unter den fast 200 Staaten der Erde an 14. Stelle, und im Bevölkerungsrang nimmt es mit 112 Millionen Menschen den elften Platz ein.

Auf dem Gebiet des heutigen Mexikos standen einst die Reiche und Hochkulturen der Maya, Olmeken, Tolteken und Azteken. Die Hauptstadt Mexiko-Stadt mit mehr als 20 Millionen Menschen steht auf den Ruinen der Azteken-Metropole Tenochtitlan. Seit 1921 ist Mexiko von Spanien unabhängig. Von 1929 bis zum Jahr 2000 regierte die Partei der institutionalisierten Revolution (PRI) das Land wie einen privaten Erbhof - was ungeheure Korruption mit sich brachte. Nach zwölfjähriger Unterbrechung ist nun die PRI mit Staatspräsident Enrique Pena Nieto wieder am Ruder. Nietos Vorgänger Felipe Calderon hatte gleich nach seinem Amtsantritt 2006 rund 7000 Sicherheitskräfte in den Bundesstaat Michoacan beordert. Dies wird als der Beginn des Drogenkrieges gewertet. Inzwischen sind mehr als 50.000 Soldaten und 35.000 Bundespolizisten im Dauereinsatz gegen 300.000 Kämpfer der Drogenkartelle. Diese sind ausgerüstet mit Sturmgewehren, Granatwerfern und anderen Waffen. In einigen Grenzregionen zu den USA haben die Kartelle de facto die Macht übernommen.

Begünstigt wird der Einfluss der Kartelle durch die weitverbreitete Korruption. Nach Schätzungen arbeitet jeder zehnte Polizist mit der Drogenmafia zusammen. Mehrfach flohen Hunderte Gefangene aus Haftanstalten. Im Juli 2010 wurde bekannt, dass eine Gefängnisdirektorin Insassen freigelassen und mit Waffen ausgestattet hatte, um 35 Rivalen zu ermorden. Dass die Regierung kaum Vermögenswerte der Drogenbosse beschlagnahmt, wird damit erklärt, dass Politik und Justiz bis in hohe Instanzen unterwandert seien. Der Aufstieg dieser Mafia hängt zusammen mit dem Niedergang der kolumbianischen Drogenkartelle in Cali und Medellin in den 90er-Jahren. Die mexikanischen Kartelle, die zuvor bloße Lieferanten für die Kolumbianer gewesen waren - Mexiko ist ein Hauptanbaugebiet für Cannabis, stellt aber auch Heroin und das hochgefährliche Methamphetamin her - wickeln heute bis zu 90 Prozent des gesamten Drogenflusses in die USA ab. Der Gesamtumsatz wird von Experten auf mehr als 100 Milliarden Dollar jährlich geschätzt. Eine große Rolle spielt zudem der Schmuggel von Waffen aus den USA.

In Mexiko ist es derweil zu erbitterten Verteilungs- und Machtkämpfen zwischen den einzelnen Kartellen gekommen. Die Auseinandersetzungen werden mit unvorstellbarer Brutalität geführt. Massaker sind an der Tagesordnung. Ständig werden irgendwo Dutzende Leichen gefunden; die Opfer wurden oft bestialisch gefoltert und enthauptet. Aber auch Zivilisten leiden entsetzlich. Im Januar 2010 wurden 17 Gäste einer Geburtstagsparty in Ciudad Juarez ermordet, die meisten von ihnen Jugendliche. Es handelte sich um eine Verwechslung. Die Verluste durch interne Kämpfe, aber auch durch Verhaftungen und Tötungen durch Sicherheitskräfte haben zu einer Verschiebung in der Machtbalance geführt. Einst übermächtige Banden wie das Beltran-Leyva-Kartell oder La Familia sind zerbrochen. Andere gehen Allianzen ein, um zu überleben. Das Sinaloa-Kartell ist das größte, dann gibt es noch das Tijuana-, Golf- und Juarez-Kartell; aus den Überlebenden von la Familia bildete sich das Tempelritter-Kartell.

Das brutalste und gefährlichste Kartell ist jedoch Los Zetas, Hauptrivale der Sinaloa-Leute. Diese Bande bildete sich 1999 aus korrupten ehemaligen Elitesoldaten der mexikanischen Armee. Los Zetas betreiben auch Menschenhandel und Prostitution und gehen in einer selbst für mexikanischen Verhältnisse kaum gekannten Brutalität vor. Und sie haben ihre Aktivität inzwischen auch auf Guatemala ausgeweitet. Im Dezember 2010 rief die Regierung von Guatemala in der Provinz Alta Verapaz den Ausnahmezustand aus. Dort hatten Los Zetas praktisch die Macht übernommen. Sie beanspruchten einen Landkorridor für den Drogentransport und drohten, alle Bürger der Stadt Ciudad Mier zu ermorden. Tausende flohen und hinterließen eine Geisterstadt. Inzwischen haben sich in anderen Kartellen Gruppen wie die Mata Zetas (Zetas-Mörder) gebildet.

Ende September 2011 wurden in Veracruz 35 Leichen mit grausigen Folterspuren aus Lastern neben ein Konferenzzentrum gekippt. Die Opfer sollen Angehörige von Los Zetas gewesen sein, die Täter zum Sinaloa-Kartell gehören. Im Mai 2012 lagen plötzlich 49 Leichen ohne Kopf auf der Schnellstraße zwischen Monterrey und Reynosa - eine "Warnung" der Los Zetas.

Und die erwähnten sind nur einige der ständigen Massaker. Aus den Regionen Mexikos, die von den Kartellen umkämpft werden, sind inzwischen rund 250.000 Menschen in ruhigere Gebiete oder in die USA geflohen. Der Drogenkrieg ist praktisch für die Regierung verloren - am Ende von Calderons Amtszeit gab es weit mehr Opfer als zuvor. "Wer das Haus reinigt, wirbelt Staub auf", kommentierte Calderon.

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