Nach Sturz Assads soll Land zum Trainingsraum der Islamisten werden. Kämpfer mit westlichen Pässen sind besonders willkommen.

Berlin. Ein Foto aus Syrien. Es zeigt einen kräftigen Mann in schwarzer Kampfmontur. Um den Kopf gewickelt ein schwarzes Tuch, am Arm eine Binde, darauf das islamische Glaubensbekenntnis. In den Händen hält er ein Sturmgewehr. Der Text neben dem Bild verrät, dass der Mann kein Syrer ist: "Der Gotteskrieger Abu Ahmadal-Almaniaus Deutschland". Zu finden ist die Aufnahme bei Facebook. Dort gibt er an, im Libanon geboren zu sein. Zuletzt lebte er in Deutschland. Dann wanderte er aus, um gegen den syrischen Diktator Baschar al-Assad zu kämpfen. Jetzt ist "Abu Ahmad" ein Krieger Allahs. Und er ruft seine deutschen Glaubensbrüder auf, ihm nachzufolgen.

Der Kämpfer aus Deutschland ist nur einer von Hunderten Ausländern, die sich den syrischen Rebellen angeschlossen haben. Die meisten von ihnen sind junge Männer aus Nordafrika, dem Libanon, Jordanien, Saudi-Arabien und dem Jemen. Aber auch immer mehr Europäer füllen die Reihen der Milizen. Westliche Nachrichtendienste gehen davon aus, dass sich etwa 100 Muslime mit europäischem Pass am Krieg beteiligen. Deutsche Sicherheitsbehörden beobachten Reisen von radikalen Muslimen Richtung Syrien mit Sorge. Die Beweggründe der Syrien-Reisenden sind für Nachrichtendienstler oft nur zu erahnen. "Warum jemand nach Syrien reist, kann viele Gründe haben", sagte ein Ermittler. "Der eine will seiner Familie helfen. Ein anderer will zum Märtyrer werden. Manchmal entwickelt sich auch jemand erst im Laufe des Konfliktes zum Islamisten."

Größtes Problem für die ausländischen Dschihadisten ist laut Bundesnachrichtendienst die chaotische Situation der unzähligen Kriegsparteien, Bürgermilizen und Rebellengruppen. Aus Europa angereiste Islamisten wissen nur selten, welcher Gruppe sie sich anschließen, welche Ideologie und welche Ziele ihre Einheit verfolgt. Die wohl radikalste Gruppe nennt sich Dschabat al-Nusra. Sie ist dschihadistisch orientiert und will einen Gottesstaat in Syrien errichten. Dschabat al-Nusra gilt als Ableger al-Qaidas in der Region. Eine offizielle Einbindung in das Terrornetzwerk hat die Gruppierung, der etwa 1000 Kämpfer angehören sollen, bislang allerdings bewusst vermieden. Aus Imagegründen, wie Nachrichtendienstler vermuten. Al-Nusra wolle Machthaber Assad keine Vorlage liefern, die Opposition als Al-Qaida-Söldner zu brandmarken.

Nach Erkenntnis westlicher Dienste betreibt al-Nusra mehrere große Ausbildungslager in Syrien. Kampferprobte Islamisten, Veteranen aus dem Irak und Afghanistan bilden dort neue Rekruten aus. Auch westliche Islamisten. Ähnlich wie in den afghanischen Al-Qaida-Camps in den 90er-Jahren erlernen derzeit Hunderte Islamisten in den Lagern den Umgang mit Schusswaffen, den Bombenbau und Nahkampftechniken. Al-Qaida-Boss Aiman al-Sawahiri konzentriert seine Anstrengungen auf Syrien und Ägypten und versucht dort, neue Strukturen aufzubauen. Denn nach dem Tod Osama Bin Ladens folgen viele Al-Qaida-Ableger nicht mehr seinen Befehlen. Deshalb baut Sawahiri nach Informationen westlicher Sicherheitskreise in beiden Ländern neue Zellen auf, die ihm direkt verantwortlich sind. Sein Statthalter in Syrien ist Abu Muhammad al-Dschulani, der Anführer al-Nusras. In Ägypten führen Dschamal al-Kaschef und Scheich Adel Schahato die Geschäfte. Al-Qaida will die "häretischen Regime" in beiden Ländern bekämpfen, zu denen Sawahiri inzwischen auch die Regierung des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi zählt. Sawahiri hat in einer seiner letzten Reden zu Angriffen auf die ägyptische Armee aufgerufen, um Mursi zu stürzen.

Das wichtigste Operationsfeld für al-Qaida ist allerdings Syrien. Sawahiri hat im vergangenen Jahr mindestens drei Führungskader nach Syrien entsandt, um die dschihadistischen Gruppen dort zu organisieren. Besonders besorgniserregend sind Bemühungen, chemische und biologische Waffen in die Hand zu bekommen. Lokale Al-Qaida-Operateure sollen Anweisungen bekommen haben, die Lagerstätten dieser Waffen zu identifizieren, und laut Sicherheitskreisen sucht al-Qaida in Syrien nach Experten, die sie in den Gebrauch der Waffen einführen sollen. Die Operationen al-Qaidas konzentrieren sich derzeit offenbar auf Dera im Südwesten und auf Aleppo, wo sich die Führungszentrale befinden soll. Wenn es nach al-Qaida geht, dann soll Syrien ein neues "Waziristan" werden, der Landstrich in Pakistan, in dem sie sich weitgehend unbehelligt bewegen können.

Für zukünftige Anschläge in Europa sind Extremisten mit europäischem Pass besonders wertvoll. Wie der Spanier Rachid Wahbi aus Sauta, der in Syrien im Juni 2012 umkam und über die Türkei eingereist war. Er soll auf dem Weg in ein Trainingscamp für europäische Kämpfer gewesen sein. Ein weiteres Beispiel ist Mehdial-Harati, ein Libyer mit irischem Pass. Er war einer der Gründer der Tripoli-Brigade, der ersten Aufständischen-Einheit in Libyen. Inzwischen führt er die Rebellen im Norden Syriens an. Etwa 100 Kämpfer oder kampfbereite Radikale mit europäischem Pass sollen bisher nach Syrien gekommen sein. Nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste soll Al-Nusra-Kommandeur Abu Mohammad al-Dschulani schon jetzt planen, seine Operationsbasis von Syrien über die Türkei nach Europa auszudehnen. Er bereitet sich auf den Tag nach dem Sturz Assads vor, um Syrien zu einem Zentrum für dschihadistische Aktivität auch in anderen Ländern zu machen.

Einige von al-Dschulanis Al-Qaida-Zellen operieren schon in anderen Ländern der Region, und er ist nach Erkenntnissen westlicher Sicherheitskreise dabei, weitere Zellen in Europa aufzubauen. Auffällig ist, dass al-Nusra europäische Kämpfer bisher nicht für Selbstmordattentate in Syrien einsetzt. Offenbar sollen sie nicht "verheizt" werden, weil ihre europäischen Pässe noch sehr wichtig für al-Qaida werden.