Deutschland und die EU warnen Rom vor nachlassendem Reformeifer, die Börsen reagieren mit Kursverlusten. Monti verteidigt sich.

Berlin/Brüssel. Als Mario Monti vor 13 Monaten in Rom das Regierungszepter vom kapriziösen Silvio Berlusconi übernahm, atmete Europa auf – nun schickt seine Rücktrittsankündigung die Stimmung der Euro-Partner und Finanzmärkte in den Keller. Während der italienische Ministerpräsident seine Entscheidung verteidigte, wird in Brüssel und an der Börse die Aufkündigung wichtiger Reformen befürchtet. An einen möglichen Nachfolger Berlusconi mochte auch am Montag kaum jemand in den politischen Schaltzentralen des Kontinents denken.

„Zwei Drittel der Reformstrecke hat Italien hinter sich“, mahnte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) beim Treffen mit seinen Ressortkollegen in Brüssel. „Aber das letzte Drittel ist jetzt entscheidend.“ Alle politischen Kräfte des Landes müssten sich ihrer Verantwortung für den Kontinent bewusst sein und dürften nicht zulassen, „dass Italien aber auch Europa insgesamt wieder in einen Strudel hineingeraten“.

Die Europäische Kommission fürchtet im Kampf gegen die Schuldenkrise um einen Verbündeten in Rom, der die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone mit schmerzhaften Strukturreformen und knallhartem Sparkurs auf Sanierung getrimmt hat. „In Europa brauchen wir ein starkes und stabiles Italien“, sagte Kommissionspräsident José Manuel Barroso dem italienischen Fernsehsender Sky Tg24 in Oslo. Und daheim in Brüssel fügte ein Sprecher seiner Behörde hinzu: „Italien sollte den Reformpfad nicht verlassen, unter welchen Umständen auch immer.“

Dass der Name Berlusconis nicht ausdrücklich fiel, ist allein diplomatischen Gepflogenheiten geschuldet. Hinter den Kulissen verraten europäische Spitzenpolitiker immer wieder, was sie von einer Rückkehr des berüchtigten Schürzenjägers hielten: gar nichts. Dass Berlusconi trotz der verheerenden Folgen seiner jahrelangen Schulden- und Klientelpolitik noch immer viele Fans in Italien hat, ist dabei nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass ein großer Teil der italienischen Medienlandschaft mit gefälligen Berichten über ihren Besitzer für dessen Wiederkehr als Heilsbringer wirbt.

Monti verteidigt angekündigten Rückzug

Die Börsen mochten dieser Heilsvision nicht folgen und reagierten am Montag mit Kursverlusten. An der Mailänder Börse fiel der FTSE MIB-Index am Vormittag um mehr als drei Prozent. Auch andere Finanzplätze in Europa starteten mit Verlusten in die Handelswoche: Der deutsche Leitindex DAX gab bis Mittag 0,63 Prozent nach, der britische FTSE 100 verlor 0,29 Prozent, der französische CAC-40 0,68 Prozent. Die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen zogen ebenfalls an. Montis Ankündigung habe „ein weiteres Element der Unsicherheit in den europäischen Mahlstrom geworfen“, sagte Michael Hewson, leitender Marktanalyst des Finanzdienstleisters CMC Markets.

Dass Italien unter Monti wichtige Reformen angeschoben habe, „haben die Märkte bislang honoriert“, sagte der Chef der Euro-Rettungsfonds ESM und EFSF, Klaus Regling, der „Süddeutschen Zeitung“. Da sei es nur konsequent, dass die Märkte „auf die aktuellen Entwicklungen Ende vergangener Woche beunruhigt reagiert“ hätten.

Monti gab sich im Gespräch mit der Zeitung „La Repubblica“ überzeugt, das Richtige getan zu haben. Seine eigene Zukunft sei noch offen, aber auch nachrangig gegenüber der Zukunft des Landes. Den Rücktritt habe er bewusst am Wochenende verkündet, um den Märkten Zeit zu geben, sich bis zur Börsenöffnung am Montag von dem Schock zu erholen. Ob Monti nach der Verabschiedung des Haushalts 2013 bei den für Anfang kommenden Jahres erwarteten Neuwahlen erneut anzutreten gedenkt, hat der 69-Jährige bislang offen gelassen.

Berlusconi? „Wirklich das Letzte, was unser Land braucht!“

Kompetenz für die Führung seiner Technokratenregierung hat sich Monti als EU-Wettbewerbskommissar in Brüssel angeeignet. Dort bekam er einst den Spitznamen „Super Mario“ verpasst, weil er sich mit wirtschaftlichen Schwergewichten wie Microsoft oder General Electric anlegte. Für seinen „beeindruckenden“ Reformkurs als Regierungschef zollte ihm später selbst Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Respekt. Monti selbst hat die Kultur der Stabilität einst als einen der „besseren Exporte“ Deutschlands gelobt. Doch zuhause hat er längst keine politische Mehrheit mehr hinter sich und durch unpopuläre Sparbeschlüsse den Rückhalt der Bevölkerung zunehmend verloren.

Der frühere Ministerpräsident Berlusconi machte sich das zunutze und nahm seine jüngste Beteuerung zurück, nicht mehr für das Amt des Regierungschefs kandidieren zu wollen. Im Gegenteil: Bei der Parlamentswahl im kommenden Jahr werde er wieder seinen Hut in den Ring werfen, tönt der 76-jährige Medienzar und Vorsitzende der konservativen Popolo della Libertà (Volk der Freiheit) nun. Seine Partei hatte Montis Regierung außerdem gleich zweimal bei wichtigen Vertrauensabstimmungen zum Wachstumspakt boykottiert.

Viele Italiener hatten den Wechsel vom Polit-Macho Berlusconi, dessen Bemerkungen über Frauen und Ausländer bisweilen die Grenzen des guten Geschmacks überschritten, hin zum stets vornehm auftretenden und um leise Töne bedachten Monti begrüßt. Dass dessen Vorgänger auch sein Nachfolger werden könnte, wird von Landsmännern in Brüssel mit Sorge beobachtet. „Ich habe das erst als Scherz aufgefasst“, sagte ein italienischer Kommissionsbeamter. „Berlusconi ist wirklich das Letzte, was unser Land braucht. Wenn er wieder an die Macht kommt, beantrage ich die belgische Staatsbürgerschaft.“