Das Abwehrsystem “Eiserne Kuppel“ gilt als das effektivste weltweit und soll rund 170 Geschosse aus dem Gazastreifen zerstört haben.

Tel Aviv. 90 Sekunden nach dem Luftalarm in Tel Aviv gibt es einen lauten Knall. Es ist der dritte Tag in Folge, dass in Israels größter Stadt die Sirenen heulen, doch nie zuvor war die Explosion danach so deutlich zu hören. So paradox dies klingen mag: Die meisten der Bewohner, die an diesem Vormittag in Treppenhäusern Schutz vor den Raketen suchen, ahnen, dass das ein gutes Zeichen ist. Die Stimmung ist eine ganz andere als am ersten Tag des Alarms. Nach kurzer Anspannung werden Witze gerissen und Neuigkeiten ausgetauscht, dann verschwinden die Menschen wieder in ihren Wohnungen. "Einen schönen Tag noch", wünschen sie sich gegenseitig. Der Grund für die gelöste Stimmung heißt Iron Dome, Eiserne Kuppel - Israels neue Waffe im Kampf gegen Raketen aus Gaza.

Seit Sonnabendmorgen steht eine Batterie des Abwehrsystems im Süden der Großstadt. Nur wenige Stunden nachdem sie montiert wurde, zerstörte das System eine iranische Rakete vom Typ Fadschr-5. Gestern verhinderte Iron Dome erneut zwei Raketeneinschläge in Tel Aviv. Einer der Angriffe aus dem Gazastreifen wäre gänzlich spurlos an der Stadt vorbeigegangen, hätten nicht umherfliegende Raketensplitter ein Auto in Brand gesetzt.

Iron Dome ist das derzeit wohl modernste Raketenabfangsystem der Welt. Es besteht aus Radar, Kontrollzentrum und 20 Abfangraketen. Das Radar registriert den Start der Rakete, berechnet in Sekundenschnelle die Flugbahn und übermittelt die Informationen an das Kontrollzentrum, das den Einschlagsort bestimmt. Liegt dieser außerhalb bewohnter Gebiete, schickt das System keine Rakete. Das ist sinnvoll, denn jede Einzelne kostet mehr als 30 000 US-Dollar. Zudem erkennt das System genau, von wo aus die Rakete abgefeuert wurde. Schießen Hamas-Terroristen aus einem Hinterhof in Gaza-Stadt, nehmen israelische Kampfjets den Ort sofort unter Beschuss.

Die extrem manövrierfähigen Raketen des Iron Dome sind mit elf Kilogramm Sprengstoff bestückt und sollen Ziele in vier bis 70 Kilometer Entfernung treffen. Insgesamt decken sie ein 150 Quadratkilometer großes Gebiet ab. Im Jahr 2008 hat Israel Iron Dome erstmals getestet, im vergangenen Jahr bestand das System seine Feuertaufe: Am 7. April 2011 wurde es erstmals erfolgreich eingesetzt, als es eine im Gazastreifen abgefeuerte "Grad"-Rakete über Israel zerstörte. Fünf dieser mobilen Abschussrampen sind inzwischen in Israel im Einsatz, die meisten davon im Süden an der Grenze zum Gazastreifen. Feste Standorte gibt es nicht: Je nach Bedarf können sie innerhalb weniger Stunden ab- und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden.

Wie effektiv das System in der Bekämpfung feindlicher Raketen ist, darüber gibt es keine exakten Zahlen. Schätzungen variieren zwischen 70 und 90 Prozent Trefferquote. Seit Beginn der jüngsten Gaza-Krise hat Iron Dome laut israelischer Armee 168 feindliche Raketen zerstört, 494 sind auf israelischem Staatsgebiet eingeschlagen. Immerhin, die meisten davon auf unbewohntem Gebiet. Absoluten Schutz bietet das System nicht: Erst vor wenigen Tagen starben in Kirijat Malachi drei Israelis durch eine Rakete aus dem Gazastreifen, die nicht abgefangen werden konnte. Sie schlug im obersten Stockwerk eines Mehrpersonenhauses ein und tötete die Mitglieder einer Familie.

Trotz solcher Rückschläge ist die israelische Militärführung von Iron Dome überzeugt. "Iron Dome hat sich als sehr effektiv herausgestellt", sagt auch Regierungschef Benjamin Netanjahu. "Wir werden das System in den kommenden Jahren noch erweitern." Bald sollen zwölf solcher Batterien vor Raketen-Angriffen schützen. Das Militär spricht bereits von einer Zeitenwende im Kampf gegen äußere Feinde.

"Die Israelis sind sehr stolz auf Iron Dome", sagt Arye Shalicar, Sprecher der israelischen Armee. "Erstens ist es ein vollständig in Israel entwickeltes System, zweitens gibt es ihnen ein Gefühl der Sicherheit. Die Situation ist nicht wie beim ersten Gaza-Krieg vor vier Jahren, damals gab es nicht einmal Sirenen." Trotzdem müsse man klar sagen, dass es keine hundertprozentigen Lösungen gebe: "Erst heute ist wieder eine Rakete neben einem Kindergarten gelandet." Dass es in Israel seit Beginn der Eskalation erst drei Tote gegeben hat, wertet Shalicar dennoch als Erfolg. Ohne Iron Dome, da ist er sicher, wäre alles viel schlimmer.

Wie sehr sich die Israelis über die von vielen als "Wunderwaffe" gepriesene Raketenabwehr freuen, ließ sich am Wochenende im Süden Tel Avivs beobachten. Als die Armee das System dort aufbaute, herrschte Volksfeststimmung. Dutzende Familien pilgerten herbei und bewirteten die Soldaten mit Essen und Getränken. "Du glaubst ja nicht, was hier los ist", teilte ein Mädchen ihrer Freundin angesichts des Massenauflaufs per Handy mit. "Man könnte denken, Bar Refaeli wäre hier - nackt", sagte sie in Anspielung auf das israelische Top-Model. "Das ist besser als die nackte Bar Refaeli", entgegnete ein anderer Anwohner. Die Soldaten reagierten belustigt: "Wir sind offenbar ein Ziel von Pilgern geworden."

Ursprünglich wollte das israelische Militär Iron Dome gar nicht haben: zu teuer, zu unsicher der Erfolg, unvereinbar mit der Militärstrategie, die eher auf Angriff ausgerichtet ist. Die Israelis haben es dem damaligen Verteidigungsminister Amir Peretz zu verdanken, dass sie nun besser geschützt sind. Gegen viel Widerstand und mit finanzieller Hilfe der USA setzte er Iron Dome durch. Washington beteiligte sich mit gut 70 Millionen US-Dollar an den Kosten. Eine Investition, die sich rechnen dürfte: Mehrere Staaten haben bereits Interesse an Iron Dome bekundet.