Regierungen fahren scharfen Sparkurs in EU-Krisenländern. Vielen geht es immer schlechter. Zehntausende machen ihrem Ärger Luft.

Madrid/Brüssel. Europaweite Proteste gegen die Sparpolitik: Millionen von Arbeitnehmern haben am Mittwoch in mehreren Euro-Krisenländern die Arbeit niedergelegt. In Spanien und Portugal brachten 24-stündige Generalstreiks manche Wirtschaftsbereiche zum Erliegen. In Italien demonstrierten Gewerkschafter und Studenten mit Arbeitslegungen und Kundgebungen gegen die rigide Sparpolitik Europas und der Regierung von Mario Monti. Auch in Griechenland waren die Beschäftigten zu einem mehrstündigen Ausstand aufgerufen. In mehreren Ländern Europas kam es wegen der Proteste zu Verkehrsbehinderungen.

In Belgien legte ein 24-stündiger Eisenbahnerstreik den Zugverkehr weitgehend lahm. Der Europäische Gewerkschaftsbund hatte den Mittwoch zum „Solidaritätstag“ erklärt. DGB-Chef Michael Sommer forderte einen Kurswechsel im Kampf gegen die Wirtschaftskrise. Vor allem die Reichen müssten mehr beteiligt werden, um den wirtschaftlichen Wiederaufbau voranzubringen, sagte Sommer dem RBB-Inforadio. „Ausreichend wäre eine Politik, die die Reichen mehr zur Kasse bittet und die Finanzmärkte endlich in den Griff nimmt.“

In Spanien und Portugal sagten die Fluggesellschaften wegen des Generalstreiks Hunderte von Flügen ab. Dazu gehörten auch Dutzende Flüge von und nach Deutschland. Von den Absagen waren auch zahllose Urlauber betroffen. In Spanien brachte der Streik zudem die Produktion in den Autowerken von Konzernen wie Volkswagen, Seat, Opel oder Nissan weitgehend zum Erliegen. Die Gewerkschaften bezifferten die Beteiligung am Generalstreik auf 80 Prozent der Beschäftigten.

In mehreren spanischen Städten kam es zu Zusammenstößen zwischen Streikposten und der Polizei. Dabei gab es nach Angaben der Polizei bis zum Mittag 70 Festnahmen und 34 Verletzte. Bei den Bahnen, U-Bahnen und Bussen war ein Mindestbetrieb vereinbart worden. Danach sollten etwa 10 bis 50 Prozent der Verbindungen aufrechterhalten werden. Wie das Madrider Innenministerium mitteilte, wurden die Vereinbarungen weitgehend eingehalten.

In Portugal waren vor allem der Verkehrsbereich und der öffentliche Dienst vom Streik betroffen. In Lissabon fuhr die U-Bahn nicht, im ganzen Land blieben Züge und Busse stehen. Auch die Post, Krankenhäuser und Bildungseinrichtungen wurden bestreikt.

Wegen des Bahnstreiks in Belgien setzte die Deutsche Bahn auch Busse ein. Von dem Ausstand war vor allem der Zugverkehr in Richtung Brüssel betroffen. „Wer nicht unbedingt dahin muss, sollte einen anderen Tag wählen“, sagte ein Bahn-Sprecher. Der Hochgeschwindigkeitszug Thalys zwischen Deutschland und Belgien verkehrte wegen des Streiks nicht. Ein Verkehrschaos blieb aber bis zum Mittag weitgehend aus.

In Italien hatte die größte Gewerkschaft CGIL zu einem vierstündigen Generalstreik aufgerufen und etwa 100 Kundgebungen vorbereitet. In Rom bewarfen Studenten die Polizei mit Steinen, als diese sie daran hinderte, zu Montis Regierungspalast Chigi vorzudringen. In Turin flogen Eier und Nebelkerzen gegen das Gebäude der dortigen Steuerbehörde. In Mailand demolierten Studenten die Vitrinen von Banken und des Energiekonzerns Enel.

Deutsche Gewerkschaften drücken Solidarität aus

„Das kostet Milliarden von Euro“, kommentierte Philippe de Buck, Chef des europäischen Arbeitgeberverbands Eurobusiness. „Wer einen Streik auf nationalem Level und in Unternehmen beginnt, schadet nur der Wirtschaft.“ Er sah auch die Gefahr, dass Europa mit dem Ruf als Hort von Gewerkschaftsaktionen an Attraktivität für Investoren verlieren könne.

„Austerität bedeutet Einschnitte in öffentliche Dienste und staatliche Unternehmen und auch Einschnitte für die Kaufkraft der Arbeiterklasse“, sagte hingegen Filip Peers, ein führender belgischer Gewerkschafter. Er warnte vor Rezession, die durch Sparmaßnahmen entstehen könne.

Auch in Deutschland sprach sich der DGB-Vorsitzende Michael Sommer dafür aus, gegen die Krise zu investieren und nicht in sie hineinzusparen. Man müsse das Grundübel dieser Zeit, die „Herrschaft der Finanzmärkte und die Herrschaft des Spekulantentums“, in den Griff bekommen, sagte Sommer weiter im Deutschlandradio Kultur. Die deutschen Gewerkschaften würden sich mit den Kollegen in anderen Ländern solidarisch zeigen.

Der Blick auf die Situation in der gesamten EU zeigte eine Aufteilung in Nord und Süd: Während der Süden Europas geschlossen an dem Streik teilnahm, verzichteten die Gewerkschaften in Skandinavien, das bislang relativ unbeschadet durch die Finanzkrise gekommen ist, auf entsprechende Aufrufe.

Niederlande: Flüge und Züge wegen Streiks annulliert

Die Streiks in einigen europäischen Ländern haben auch den internationalen Bahn- und Flugverkehr der Niederlande getroffen. Auf dem Amsterdamer Flughafen Schiphol wurden am Mittwoch rund zehn Flüge von und nach Spanien annulliert. Das teilte eine Flughafensprecherin mit. Auch der Bahnverkehr ist betroffen. Drei Hochgeschwindigkeitszüge von Amsterdam nach Paris wurden bis zum Mittag gestrichen. Die Intercitys nach Brüssel stoppen wegen des Streiks der Bahn in Wallonien bereits in Antwerpen, wie die niederländische Bahn mitteilte. Passagieren wird dringend geraten, Zugreisen nach Belgien zu verschieben. Die Bahn warnt vor großen Verspätungen. In den Niederlanden wird nicht gestreikt.

Deutsche Bahn setzt wegen Streiks in Belgien Busse ein

Wegen des Bahnstreiks in Belgien setzt die Deutsche Bahn nun auch Busse ein. Von dem Ausstand ist vor allem der Zugverkehr in Richtung Brüssel betroffen. „Wer nicht unbedingt dahin muss, sollte einen anderen Tag wählen“, sagte ein Bahn-Sprecher am Mittwoch. Die Bahn AG setze auf der ICE-Verbindung von Aachen nach Lüttich Busse ein. Die Reisenden seien rechtzeitig informiert worden. Die Busse hätten allerdings nur eine begrenzte Kapazität.

SPD, Linke und DGB solidarisch mit Streikenden in der EU

SPD, Linke sowie Gewerkschaften und die Globalisierungsgegner von Attac unterstützen die Streiks in mehreren EU-Staaten gegen staatliche Sparmaßnahmen zulasten von Beschäftigten und Rentnern. Die Folge dieser Politik sei ein Teufelskreis aus steigender Arbeitslosigkeit, Verarmung und weiter wachsenden Staatsschulden vor allem in Südeuropa, warnte SPD-Chef Sigmar Gabriel am Mittwoch in Berlin. Erforderlich sei stattdessen ein gemeinsames Wachstums- und Beschäftigungsprogramm.

Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger erklärte: „Statt den Banken immer neue Milliarden hinterherzuwerfen und dieses Geld dann über extreme Kürzungen bei den Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentnern einzutreiben, müssen wir europaweit dafür kämpfen, dass die Profiteure des Finanzkasinos endlich zur Kasse gebeten werden.“ Seine Partei fordere europaweit eine Vermögensabgabe und die Einführung einer Millionärsteuer zur Reduzierung der öffentlichen Schulden.

DGB-Chef Michael Sommer erklärte, die Spar- und Kürzungspolitik funktioniere nicht. „Sie ist Gift für die Konjunktur, zerstört Arbeitsplätze und gefährdet den sozialen Zusammenhalt.“ Gebraucht werde ein „Marshallplan“ und ein Wiederaufbau der europäischen Wirtschaft.

Attac griff Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an. Sie betreibe eine massive Umverteilungspolitik von unten nach oben zu Lasten kommender Generationen und vergifte das politische Klima in Europa, erklärte ein Sprecher.