Peking lässt Muskeln spielen und inszeniert sich als neue Militärmacht. Scheidender Präsident Hu will Kommando über Militär behalten.

Peking. Behält Hu Jintao nach seinem Rückzug als Chinas Staats- und Parteichef vorerst das Oberkommando über das Militär? Keine andere Frage wird auf dem Parteitag der chinesischen Kommunisten heißer diskutiert. Sollte der 69-Jährige noch ein, zwei Jahre den Vorsitz in der Zentralen Militärkommission der aufstrebenden Großmacht behalten, wäre der Generationswechsel zu seinem zehn Jahre jüngeren Nachfolger Xi Jinping nicht komplett. Xi stünde sogar im Schatten der Vorgänger Hu Jintao und Jiang Zemin.

Der 86 Jahre alte "Königsmacher" Jiang Zemin hatte auch erst knapp zwei Jahre nach seinem Abtritt das Oberkommando abgegeben. Viele Experten glauben daher, dass sich der verzögerte Stabswechsel jetzt wiederholen wird. Doch erscheint der scheidende Parteichef Hu durch die Korruptionsskandale und den Machtkampf um die neue Führungsmannschaft geschwächt. "Er wird sich sofort zurückziehen", glaubt der Politikprofessor Zhang Ming von der Volksuniversität.

Überhaupt, dem künftigen Parteichef Xi Jinping wird längst eine solide Gefolgschaft im Militär nachgesagt. Er ist Sohn eines revolutionären Militärführers und begann seine Karriere Anfang der 80er-Jahre in der Militärkommission. "Der neue Führer hat eine größere Autorität, deswegen dürfte er theoretisch sofort die Dreieinigkeit von Parteichef, Präsident und Militärchef hinbekommen", sagt auch der bekannte Kommentator Zhang Lifan der dpa.

Vor dem Parteitag hat das Militär seine Muskeln spielen lassen. Der erste Flugzeugträger "Liaoning" wurde für Trainingszwecke in Betrieb genommen. Auch präsentierte die Luftwaffe mit dem Erstflug des Kampfjets J-31 den zweiten Prototypen eines Tarnkappenfliegers, der für gegnerisches Radar schwer sichtbar sein soll.

Der chinesische Stealth-Flieger gleicht den US-Vorbildern F22 und F35 auffällig. Es wird über Rüstungsspionage spekuliert, doch gibt es auch technische Erfordernisse.

Die neuen Kampfflieger sind allerdings über Jahre noch nicht einsatzfähig. Auch sollen die Triebwerke den US-Modellen weit unterlegen sein. Die Prototypen und der Flugzeugträger feuern aber den Stolz der Nation an. Die Marine ist vom Betrieb eines richtigen Flugzeugträgerverbands, der eine komplizierte Abstimmung von Begleitschiffen und Verteidigungssystemen erfordert, aber auch noch weit entfernt.

Chinas Aufrüstung verändert das Gleichgewicht in Asien. So richtet die Supermacht USA ihren strategischen Fokus stärker auf den Pazifik. China streitet sich mit Japan und anderen Nachbarn um Inseln und Rohstoffvorkommen im Ost- und im Südchinesischen Meer. Die Spannungen könnten durch einen Zwischenfall leicht eskalieren und die USA in einen Konflikt ziehen. Wie die neue Militärkommission in Peking dann reagieren wird, ist entscheidend.

Zwei Drittel der Mitglieder werden durch den Generationswechsel in der Führung bis Ende nächster Woche ausgewechselt. Chinas neue Militärführer werden von Beobachtern als versierte Strategen beschrieben. Sie besäßen zwar keine persönliche Kampferfahrung, dafür aber Kenntnisse, wie moderne Kriege über Satelliten, Hackerattacken und Spionage geführt werden. "Sie werden eine dynamische, aber keine angriffslustige Haltung einnehmen", glaubt Professor Wu Qiang von der Qinghua-Universität.

Beim Parteitag wurde auch deutlich: Die grauen Eminenzen haben keine Ämter mehr, aber immer noch Einfluss. Die mächtigen Politpensionäre jenseits der 70, 80 und auch 90 Jahre sind beim Kongress leicht auszumachen: Die meisten färben sich das Haar nicht mehr so pechschwarz wie die aktiven Kollegen.

Hinter den Kulissen hieven sie ihre Protegés auf Spitzenposten im Politbüro. In vorderster Reihe steht Expräsident Jiang Zemin: Zur Eröffnungssitzung des Parteitags am Donnerstag half ein Mitarbeiter dem 86-Jährigen auf seinen Platz neben dem scheidenden Partei- und Staatschef Hu Jintao.

"Die Rolle der Alten bei der informellen Auswahl der Politbüromitglieder ist immer noch entscheidend", erklärt Jonathan Holslag vom Institut für zeitgenössische Chinaforschung in Brüssel. "Besonders in innenpolitisch gespannten Zeiten erwarte ich, dass diese Clan-Politik Reformen erschwert." Unter den prominenten Parteitagsgästen war auch der 95 Jahre alte Revolutionsveteran und Königsmacher Song Ping, auf dessen Empfehlung Hu einst mit erst 46 Jahren in den Ständigen Ausschuss des Politbüros gelangte. Der Greis in Mao-Jacke nickte während der Plenartagung immer wieder ein.

Das politische Gewicht von Männern wie Song und Jiang spiegelt die Ehrerbietung der Partei gegenüber ihren Ältesten wider, aber auch ihren Mangel an Transparenz und die Unfähigkeit, Nachfolgefragen offen zum Beispiel durch Wahlen zu regeln.

Zudem stehen die Alten den Reformen im Wege, die ihrem Einfluss oder ihren wirtschaftlichen Interessen abträglich wären. Die Karriere ihrer Schützlinge zu fördern stärkt das Ansehen der Politpensionäre, sichert ihnen Mitsprache und schützt sie und ihre Familien vor allem vor Ermittlungen wegen Korruption oder anderer Vergehen während ihrer Amtszeit.

Die Einflussnahme hinter den Kulissen geht auf Deng Xiaoping zurück, der auch nach Aufgabe offizieller Titel der starke Mann blieb. Ein berühmtes Beispiel: 1998 intervenierte Bo Yibo, einer der "acht Unsterblichen" der Partei, um Jiang Zemins Rivalen Qiao Shi zu stürzen. Jiang zeigte sich dadurch erkenntlich, dass er Bos Sohn Bo Xilai eine Weile unter seine Fittiche nahm und ihn zum Provinzgouverneur machte.

Bo Xilai rückte ins Politbüro auf und galt als aufgehender Stern, bis er dieses Frühjahr spektakulär über einen Sex-and-Crime-Skandal stolperte. Vielleicht wäre es ihm anders ergangen, wäre Vater Bo Yibo nicht vor fünf Jahren gestorben.

Jiang, der 2002 als Parteichef zurücktrat, fördert nun den designierten Generalsekretär Xi Jinping und soll daneben bis zu vier aussichtsreiche Kandidaten für den Ständigen Ausschuss des Politbüros protegieren, dessen Zusammensetzung nächsten Donnerstag erwartet wird. Damit könnte Jiang mit seinem Kurs vorsichtiger wirtschaftlicher Reformen den stärksten Einfluss auf das Führungsgremium ausüben.