Nato und Uno wollen Vorfall im deutschen Sektor untersuchen lassen. Taliban-Rebellen hatten zuvor zwei Tanklaster mit Dieselöl gekapert.

Hamburg/Kabul. Diese Bilder wird Mohammed Daud nie vergessen: "Niemand war mehr ganz. Hände, Beine und andere Körperteile lagen überall verstreut", erzählt der 32-Jährige. Schuhe, Kleiderfetzen, der Kadaver eines Esels und etliche Plastikkanister liegen am Kundus-Fluss im Norden Afghanistans umher.

Während Einheimische noch am selben Tag an einem eilig ausgehobenen Massengrab schweigend auf eingehüllte Leichen herabschauen, kämpfen Dutzende Verletzte in einem Krankenhaus in der Provinzhauptstadt Kundus um ihr Leben. Die Flure der Klinik sind überfüllt mit Opfern. Viele wurden mit schwersten Brandwunden eingeliefert, bei vielen liegen die Muskeln frei. Die meisten sind so von Schmerzen geplagt, dass sie noch nicht einmal weinen können.

Der von der Bundeswehr angeforderte Luftangriff auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklastwagen mit Dieselöl haben unweit des deutschen Standortes Kundus für ein Inferno gesorgt. Die Taliban hatten die Lastwagen an einem fingierten Straßenkontrollposten entführt. Einer der Fahrer berichtete später der britischen BBC, die Taliban hätten zwei seiner Kollegen während der Kaperung geköpft.

Eine Drohne verfolgte die Entführer, die mit den Fahrzeugen schließlich im Kundus-Fluss an einer Sandbank stecken blieben. Die Kamera des unbemannten Flugzeugs habe 67 Kämpfer gezählt. Daraufhin sei durch den deutschen Kommandeur in Kundus ein Nato-Luftschlag angefordert worden, hieß es bei der Bundeswehr. Die Deutschen haben zwar Tornado-Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan, aber keine eigenen Kampfflugzeuge.

Wie Mohammed Akbar, ein Bewohner des betroffenen Dorfes Hadschi Amanullah, sagte, boten die Taliban an, den Treibstoff, den sie abließen, um die Lkw flottzumachen, den Dorfbewohnern zur Verfügung zu stellen.

Afghanische Beamte teilten der "New York Times" dazu mit, es seien viele Menschen mit allen möglichen Gefäßen erschienen. Nach Angaben von Dorfbewohnern waren sie durch den Lärm der Lastwagen mitten in der Nacht angelockt worden. Als die Kampfjets um 2 Uhr 30 Ortszeit angriffen - 40 Minuten nach der Kaperung - seien alle Leute in der Nähe der Laster zerrissen worden. Jene, die weiter entfernt standen, hätten furchtbare Verbrennungen erlitten. Der Direktor des Krankenhauses von Kundus, Humanjun Chmosch, sagte, allein bei ihm seien zwölf Personen mit schweren Verbrennungen eingeliefert worden, darunter ein zehnjähriger Junge.

Während die Bundeswehr zunächst von "mehr als 50 toten Aufständischen sprach und beteuerte, es seien "vermutlich" keine Unbeteiligten umgekommen, berichtete afghanischer Soldat von 200 Toten und Verwundeten. Der Gouverneur der Provinz Kundus, Mohammed Omar sagte, es habe rund 90 Tote gegeben, die Hälfte davon Zivilisten. Unter den Toten seien "vier oder fünf Anführer der Taliban" und vier tschetschenische Extremisten gewesen.

Die Vereinten Nationen forderten von der Nato eine eingehende Untersuchung. Der stellvertretende Uno-Gesandte für Afghanistan, Peter Galbraith, sagte, es müsse auch geklärt werden, warum bei einer unübersichtlichen Situation vor Ort ein Luftangriff angefordert worden sei. Das Bundesverteidigungsministerium erklärte dazu in Berlin, der deutsche Kommandeur habe eine "sehr wohl abgewogene Entscheidung gefällt". Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte eine "sofortige und komplette Untersuchung" zu. "Das afghanische Volk muss wissen, dass wir alles zu seinem Schutz tun", sagte Rasmussen.