Die ersten Wahlen seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak verlaufen trotz angespannter Atmosphäre bislang weitgehend friedlich.

Kairo. Erstmals seit dem Sturz von Präsident Husni Mubarak sind die Ägypter seit Montag zu Parlamentswahlen in ihrem Land aufgerufen. Seit dem frühen Morgen bildeten sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. Nach Jahrzehnten der Diktatur bedeutet die Abstimmung einen riesigen Schritt zur Erfüllung der Hoffnung auf Demokratie.

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Die Wahl soll die freieste in der lebendigen Erinnerung der Ägypter werden. Doch sie findet statt in einer Atmosphäre scharfer Polarisierung und Unklarheit über die Führung des Landes. Auf der einen Seite ist die Abstimmung ein Wettbewerb zwischen islamischen Parteien, die das Land einer religiösen Herrschaft näher bringen wollen, und eher liberalen Gruppen, die für die Trennung von Religion und Politik eintreten.

Erwartet wird ein Sieg der Muslimbruderschaft, die am besten organisiert ist. Für die Wähler wog die Frage schwer, ob die Wahl nach Monaten des Aufruhrs wirklich zur Demokratie führen wird. Seit dem Sturz Mubaraks am 11. Februar haben die Streitkräfte die Macht übernommen. Zehn Tage vor Wahlbeginn aber wuchsen die Proteste, ausgelöst durch Ängste, dass die Generäle keine wirklichen Freiheiten gewähren werden. Seitdem kamen 40 Menschen bei Unruhen ums Leben. Auch am Montagmorgen versammelte sich eine relativ kleine Gruppe von wenigen Tausend auf dem Tahrir-Platz, um die rund um die Uhr anhaltenden Proteste fortzuführen.

Seit Jahrzehnten mieden viele Ägypter die Wahlurnen, weil fast jede Wahl inszeniert war und einherging mit Bestechung, Fälschung oder Einschüchterung durch die Polizei. Die Beteiligung lag oft im einstelligen Bereich. Am Montagmorgen aber standen die Wähler in Kairo schon vor Öffnung der Lokale um acht Uhr in hunderte Meter langen Schlangen, was eine hohe Beteiligung erwarten ließ. Viele gaben an, dass sie zum ersten Mal wählten, ein Hinweis auf die Überzeugung, dass diesmal jede Stimme zählt. In Alexandria, der zweitgrößten Stadt des Landes, trotzten tausende Wähler starkem Regen und drängten sich unter Schirmen.

„Ich stimme für die Freiheit. Wir leben in Sklaverei. Jetzt wollen wir Gerechtigkeit und Freiheit“, sagte ein Wähler in einem Kairoer Vorort. Ein Erstwähler erklärte: „Wir haben Angst vor den Muslimbrüdern. Aber wir lebten 30 Jahre unter Mubarak, so werden wir auch mit denen Leben können.“

Die Muslimbruderschaft waren bisher offiziell verboten und deshalb mit unabhängigen Kandidaten angetreten. 2005 hatten sie so 20 Prozent der Parlamentssitze gewonnen. Diesmal wird ist ein Anteil von 40 bis 50 Prozent möglich. Sie bekommen religiöse Konkurrenz von der salafistischen Nur-Partei, die sich an der strengen Auslegung des Korans in Saudi-Arabien orientiert. Insbesondere die USA und Israel fürchten, dass ein stärkerer Einfluss der Muslimbrüder Ägyptens bedeutende Rolle als moderate Kraft im Nahen Osten beenden könnte.

Für viele, die weder die Salafisten, noch die Bruderschaft wählen wollten, stand ihre Entscheidung noch nicht fest. Eine christliche Wählerin in Assiut im Süden sagte: „Ich kenne keine der Parteien, oder Personen, für die ich stimme. Ich wähle sie nach ihren Vornamen aus.“

Viele Wähler in Kairo beschwerten sich, dass die Warteschlangen zu lang seien und dass es zu lange dauere, bis sie zu den von Soldaten streng bewachten Stationen vorrücken konnten. „Wenn ihr 30 Jahre lang gewartet habt, könnt ihr wohl auch noch eine Stunde länger warten“, rief ein Offizier hunderten unruhiger Wählerinnen zu.

Der Wahlprozess dauert lange und ist schwerfällig. Er erstreckt sich über viele Stationen in verschiedenen Provinzen, die nacheinander an der Reihe sind. Jede Runde dauert zwei Tage. Die Abstimmung über die 498 Sitze in der Volksversammlung, dem Unterhaus des Parlaments, dauert bis Januar. Dann folgt bis März die Wahl der 390 Mitglieder des Oberhauses.

Am Montag wurde in neun Provinzen gewählt, in denen 24 der insgesamt etwa 85 Millionen Ägypter leben. Die bekanntesten waren Kairo und Alexandria. Die Beteiligung der etwa 50 Millionen Wahlberechtigten dürfte eine Schlüsselrolle spielen. Je mehr Bürger zu den Urnen gehen, desto niedriger könnte der Anteil der Muslimbruderschaft ausfallen, denn deren Wähler sind die aktivsten. Eine höhere Beteiligung würde außerdem die Legitimität erhöhen. Bei einem Referendum im März waren es 40 Prozent. Alles was darunter liegt, würde als Zeichen dafür gewertet, dass das Vertrauen in den Prozess gering ist.