Eskalation in Afghanistan: Nachdem ein radikaler US-Priester einen Koran verbrannt hatte, kam es zu Protesten mit mehreren Toten.

Kabul/Stockholm/Masar-i-Scharif. Tödliche Eskalation von Protesten in Afghanistan gegen eine Koran-Verbrennung in den USA: Demonstranten haben am Freitagabend im nordafghanischen Masar-i-Scharif die dortige UN-Zentrale angegriffen und mindestens sieben Ausländer getötet. Der Sprecher der afghanischen Polizei für die Nordregion, Lal Mohammad Ahmadsai, sagte, bei allen Toten habe es sich um ausländische Mitarbeiter der Vereinten Nationen gehandelt. Drei davon seien nepalesische Wachmänner gewesen, eine Tote unter den Offizieren sei Norwegerin. Ein weiteres, männliches Opfer kam aus Schweden. Die Regierungen in Oslo und Stockholm bestätigten die Angaben am Sonnabend. Demnach waren die skandinavischen Opfer eine 53- jährige Pilotin aus Norwegen und ein 33 Jahre alter schwedischer Jurist im Einsatz für die Vereinten Nationen. Die Nationalität der anderen Toten war zunächst nicht bekannt. Auch fünf Demonstranten wurden getötet.

Am Sonnabend kam es zu erneuten Demonstrationen gegen die Koran-Verbrennung. Dabei sind im südafghanischen Kandahar mindestens zwei Menschen getötet worden. Wie ein AFP-Reporter vor Ort berichtete, handelt es sich bei den Toten um zwei Afghanen. Der Korrespondent sah demnach, wie Männer, die sich als Demonstranten ausgaben, die beiden Leichen wegtrugen. Details zu den Umständen der Vorfälle wurden zunächst nicht bekannt. In Kandahar demonstrierten mehrere tausend Menschen. Die Protestierenden teilten sich in mehrere Gruppen auf, dem AFP-Reporter zufolge waren anhaltende Schüsse in der ganzen Stadt zu hören. Hunderte Polizisten hatten zuvor versucht, die zumeist jungen Demonstranten davon abzuhalten, zum Sitz der Provinzregierung zu marschieren.

Zu einem Angriff auf einen Nato-Stützpunkt kam es derweil am Sonnabend in Kabul. Zwei Männer griffen den Stützpunkt mit Sturmgewehr und Raketenwerfer an. Die Nato-Soldaten hätten zurückgeschossen und beide Täter getötet, teilte ein ISAF-Sprecher in der afghanischen Hauptstadt mit. Einer der Täter wollte offenbar einen Selbstmordanschlag begehen. Er habe Sprengstoff bei sich gehabt. Bei dem Angriff wurden den Angaben zufolge drei Soldaten leicht verletzt. Ob es sich dabei um ausländische oder afghanische Soldaten handelte, konnte der Sprecher nicht sagen.

US-Präsident Barack Obama und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilten die tödliche Attacke vom Freitag. Bei den Getöteten und Verletzten habe es sich um „tapfere Männer und Frauen“ gehandelt, die sich für den Aufbau von Afghanistan durch die eingesetzt hätten, sagte Obama in Washington. Auf deutschen Antrag wollte der UN-Sicherheitsrat noch am Freitagabend in New York zusammentreten. Ban sagte bei einem Besuch in der kenianischen Hauptstadt Nairobi: „Das war ein abscheulicher und feiger Anschlag auf Mitarbeiter der Vereinten Nationen, der unter keinen Umständen gerechtfertigt werden kann.“ Er habe seinen Sondergesandten Staffan de Mistura angewiesen, sofort zum Anschlagsort im nordafghanischen Masar-i-Scharif zu eilen, um die Hintergründe zu klären.

Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich entsetzt. Für die UN-Mitarbeiter habe ihr Einsatz für Afghanistan den höchsten Preis gefordert. Nach Angaben der Polizei wurde ein UN-Mitarbeiter verletzt. Die russische Botschaft in Kabul teilte nach Angaben der Agentur Interfax mit, der russische Leiter der UN-Mission in Masar-i-Sharif sei verletzt worden. Ein Polizeibeamter, der ungenannt bleiben wollte, sagte, einige der ermordeten UN-Mitarbeiter seien enthauptet worden.

Nach Angaben der Gesundheitsbehörde in der Provinzhauptstadt Masar-i-Scharif wurden bei den Ausschreitungen außerdem fünf Demonstranten getötet und 20 weitere verletzt. Die Toten und die Verletzten seien ins Krankenhaus gebracht worden, sagte Behördenchef Mirwais Rabeh. Die Opfer hätten Schussverletzungen.

Der Sprecher der Regierung der Provinz Balch, Munir Ahmad Farhad, sagte, hunderte Menschen hätten von einer Moschee ausgehend zunächst friedlich demonstriert. Die Proteste seien gewalttätig geworden, als die Männer das UN-Büro erreicht hätten. Der Mob habe die Wachmänner überwältigt, das UN-Gelände gestürmt und das Gebäude in Brand gesteckt. Polizisten, die zur Verstärkung anrückten, seien mit Steinen beworfen worden. Nach Angaben aus der Polizei hatte ein Vorbeter in der Moschee die Menschen aufgewiegelt.

Am Flughafen von Masar-i-Scharif außerhalb der Stadt unterhält die Bundeswehr ihr größtes Feldlager in Afghanistan. Nach Angaben der Bundeswehr waren keine deutschen Soldaten involviert.

Die Proteste waren die Reaktion auf die Verbrennung eines Korans durch einen amerikanischen Priester vor wenigen Tagen. Die Verbrennung war international zunächst weitgehend unbeachtet geblieben. Ahmadsai sagte am Freitagabend, die Lage sei inzwischen unter Kontrolle. Polizisten hätten den Mob aufgelöst.

Am Freitag hatte Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) seine Afghanistan-Reise in Kundus beendet. Zum Auftakt war er am Dienstag in Masar-i-Scharif gewesen. (dpa/afp)