Europarats-Bericht erhebt schwere Vorwürfe gegen den Regierungschef. Thaci soll am Handel mit Organen von Serben beteiligt gewesen sein.

Hamburg/Straßburg. Wenige Tage erst ist es her, dass der Ministerpräsident des Kosovo, Hashim Thaci, seinen Sieg bei den Parlamentswahlen beansprucht hat, die durch ein Misstrauensvotum im November notwendig geworden waren. Es waren die ersten Wahlen, seitdem sich das Kosovo 2008 einseitig von Serbien abgespalten und für unabhängig erklärt hatte.

Doch der Triumph dürfte Thaci inzwischen durch ungeheuerliche Vorwürfe des Europarats gründlich verdorben sein. Sie werden in einem Bericht des Gremiums erhoben, der nach akribischen zweijährigen Recherchen angefertigt wurde und heute in Paris Diplomaten aus allen 47 Mitgliedstaaten vorgelegt werden soll.

Nach dieser Untersuchung, die unter Federführung des prominenten früheren Schweizer Staatsanwalts Dick Marty entstand, ist Thaci "der Boss" eines alle gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Zirkel durchdringenden kriminellen Netzwerks im Kosovo. Thacis "Drenica-Gruppe" wird Handel mit Drogen, Waffen und Organen quer durch Osteuropa vorgeworfen. Die Drenica-Gruppe, benannt nach einem hügeligen Gebiet im Zentralkosovo, das als Wiege und Hochburg der früheren kosovarischen Untergrundarmee UCK galt, wird von Marty als "kleine, aber unvorstellbar mächtige Gruppe von UCK-Mitgliedern" bezeichnet. Sie übe seit einem Jahrzehnt eine "gewalttätige Kontrolle" über den Drogenhandel aus. Das gehe aus Berichten von Sicherheitsbehörden in fünf Staaten hervor. Zudem benutzen Marty und sein Team Ermittlungsergebnisse des FBI, von Geheimdiensten und der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission Eulex. Dick Marty ist Abgeordneter des Europarats und Mitglied der OSZE-Kommission für Menschenrechte. Der 65-Jährige war 2007 weltbekannt geworden, als er Berichte über bis dato geheime CIA-Gefängnisse und -Gefangenenflüge in Europa vorgelegt hatte.

Sein Untersuchungsbericht gipfelt in dem Vorwurf, Thaci und andere Führer der ehemaligen kosovarischen Befreiungsbewegung UCK hätten nach dem Kosovokrieg 1998/99 einen illegalen Organhandel betrieben, für den auch Menschen ermordet worden seien. In anderer Form dauere dies bis heute an. Serbische Gefangene seien über die Grenze nach Albanien geschmuggelt worden, wo man ihre Organe regelrecht "geerntet" habe. Den Ermittlungen nach hielt die UCK Serben und Kosovo-Albaner in sechs geheimen Anstalten in Nordalbanien gefangen. Sie seien dort "unmenschlicher" Behandlung" unterworfen gewesen.

In dem Report des Europarats heißt es weiter: "Sobald bestätigt wurde, dass die Transplantations-Chirurgen in Position und operationsbereit waren, wurden die Gefangenen einzeln aus ihren Gefängnissen geholt, sofort von einem Killer der UCK erschossen, und ihre Leichen zügig zur Operationsklinik transportiert." Die entnommenen Organe seien dann auf dem Schwarzmarkt verkauft worden. Die "größte Verantwortung" für diese Gefängnisse und das Schicksal ihrer Insassen trüge Thacis Drenica-Gruppe.

Der Vorwurf von Morden im Zuge illegalen Organhandels war bereits 2008 von der damaligen Chefanklägerin des Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, Carla Del Ponte, erhoben worden. Marty erklärte, die EU, die USA und die Uno hätten von diesen Verbrechen gewusst, doch aus Sorge um die Stabilität des Kosovos nichts dagegen unternommen.

Gestern begann in Pristina vor einem Bezirksgericht ein Verfahren wegen illegalen Organhandels, der von der EU-Mission Eulex aufgedeckt worden war. In der Medicus-Klinik waren armen Menschen Organe entnommen worden. Auch dieser Skandal soll im Zusammenhang mit den kriminellen Aktivitäten der Drenica-Gruppe stehen.

"Wir sind keine Gefahr für Europa", hatte Thaci vor der Wahl am 12. Dezember erklärt und hinzugefügt: "Wir haben elf Jahre daran gearbeitet, die europäischen Kriterien zu erfüllen." Serbiens Außenminister Vuk Jeremic sagte, der Europarats-Bericht zeige, "was für ein Land das Kosovo" sei. Nun stelle sich die Frage nach Thacis Zukunft. Jeremic und sein russischer Kollege Sergej Lawrow äußerten sich bestürzt über die Vorwürfe. "Alle zusammen" in Europa müssten nun "diese schwierige Frage regeln".

Foto: Reuters