Der Fall Trayvon Martin löst eine neue Debatte über Rassismus aus. Todesschütze blieb sechs Wochen frei - jetzt steht er unter Mordanklage.

Hamburg. Es wirkte geradezu rührend naiv, als US-Sonderanklägerin Angela Corey tapfer vor der amerikanischen Presse erklärte, die Anklage gegen George Zimmerman sei keineswegs auf Druck der Öffentlichkeit zustande gekommen, sondern einzig und allein aufgrund der Faktenlage.

Sechs Wochen lang war der 28-jährige Zimmerman auf freiem Fuß geblieben, nachdem er in einer geschlossenen Wohnanlage in Sanford (US-Bundesstaat Florida) den 17-jährigen Schwarzen Trayvon Martin erschossen hatte. Der Fall hat in den Vereinigten Staaten zu einer Welle der Empörung geführt und erhitzte Diskussionen über einen mehr oder minder latenten Rassismus in Amerika ausgelöst. US-PräsidentBarack Obama, Sohn eines schwarzen Kenianers und Vater zweier Töchter, sah sich zu der Bemerkung veranlasst: "Wenn ich einen Sohn hätte, würde er aussehen wie Trayvon."

+++ Schütze im Fall Trayvon Martin wegen Mordes angeklagt +++

+++ Barack Obama: "Mein Sohn würde wie Trayvon aussehen" +++

Sie habe sich die Entscheidung zur Anklageerhebung gegen Zimmerman nicht leicht gemacht, sagte Angela Corey. Die ansonsten für die Countys Duval, Nassau und Clay juristisch zuständige Staatsanwältin war von Floridas Gouverneur Rick Scott berufen worden, nachdem Polizei und Anklagebehörden - zurückhaltend formuliert - gezögert hatten, klare Schritte gegen Zimmerman einzuleiten.

Erst jetzt sitzt der Todesschütze in Untersuchungshaft, ihm wird "Mord zweiten Grades" vorgeworfen. Damit bezeichnet das US-Recht Tötungsdelikte, denen keine Planung oder klar erkennbare Mordabsicht zugrunde liegen. Zimmerman droht damit im Falle einer Verurteilung zwar nicht die Todesstrafe, er könnte aber maximal zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden. Sein Anwalt Mark O'Harakündigte an, er werde auf "unschuldig" plädieren und Zimmermans Haftentlassung auf Kaution beantragen.

+++ Dreifacher Mord heizt die Rassismus-Debatte an +++

Nach einer Umfrage der "Washington Post" glauben 80 Prozent der Schwarzen in den USA, dass die Tötung Trayvon Martins ungerechtfertigt war. Doch nur 38 Prozent der weißen US-Bürger teilen diese Ansicht.

Dem tragischen Fall liegt eine komplizierte Rechtslage zugrunde. Es gibt in den USA seit 2005 das sogenannte "Stand your ground"-Gesetz, ein erweitertes Recht auf Selbstverteidigung. Bezeichnenderweise war Florida, wo sich die Bluttat ereignete, der erste US-Staat, der dieses Gesetz in Kraft setzte. Danach dürfen US-Bürger tödliche Gewalt anwenden, um sich gegen einen Angriff oder auch einen Einbruch zu wehren. Damit wird bisheriges Recht, zurückzuweichen, um nicht töten zu müssen, außer Kraft gesetzt. Dabei ist nicht überraschend, dass die mächtige US-Waffenlobby "National Rifle Association" zu den vehementesten Befürwortern dieses Gesetzes zählt.

Kritiker wie der Waffengegner Zach Ragbourn meinen hingegen, das Gesetz erlaube es Menschen, "in der Öffentlichkeit das Feuer zu eröffnen, einfach weil sie glauben, es könnte etwas passieren". Genau so könnte es im Fall Trayvon Martin gewesen sein. Der nicht vorbestrafte Jugendliche hatte am 26. Februar an einer Tankstelle eine Packung "Skittles"-Kaubonbons und eine Dose Eistee gekauft. Er hatte ein bei vielen Jugendlichen beliebtes Kapuzen-Sweatshirt angehabt.

Zimmerman, Mitglied einer freiwilligen Nachbarschaftswache, der die Polizei in der Vergangenheit schon mit etlichen Hinweisen auf vermeintliche Straftäter genervt hatte, war Martin gefolgt und hatte die Polizei telefonisch wissen lassen: "Der Bursche führt nichts Gutes im Schilde, der ist auf Drogen oder so." Die Polizei wies Zimmerman zweimal an, nichts zu unternehmen - was dieser jedoch ignorierte.

Martin wiederum rief eine Freundin an und beschwerte sich, dass ihn ein unbekannter Mann verfolge. Kurze Zeit später zog Zimmerman eine auf ihn zugelassene Neun-Millimeter-Pistole und schoss dem 17-Jährigen in die Brust. Der Latino behauptete, er habe Martin für kurze Zeit aus den Augen verloren. Der Schwarze habe ihn dann von hinten angegriffen und seinen Kopf mehrfach auf den Boden geschlagen. In Todesangst habe er die Waffe gezogen und geschossen. Von den behaupteten blutigen Kopfwunden, die er bei dem Kampf davongetragen haben will, war allerdings auf Videobändern der Polizeiwache von Sanford nichts zu sehen. Auch Zimmermans Kleidung war frei von Blutflecken.

Der zunächst in Sanford mit dem Fall befasste Polizeibeamte Chris Serino glaubte George Zimmerman nach einem ersten Verhör nicht und forderte die Ausstellung eines Haftbefehls. Polizeichef Bill Lee und Bezirksstaatsanwalt Norman Wolfinger lehnten dies allerdings ab. Ihrer Meinung nach reichten die Fakten nicht aus, um zubeweisen, dass Zimmerman außerhalb des "Stand your ground"-Gesetzes gehandelt habe.

Angesichts rasch anschwellender nationaler Proteste entzog der Stadtrat von Sanford am 21. März Polizeichef Lee das Vertrauen; er trat nur wenige Stunden später zurück. Tags darauf entzog Gouverneur Rick Scott Staatsanwalt Wolfinger den Fall.

Der Republikaner Durell Peaden, ehemals Mitglied des Parlaments und des Senats von Florida, der das "Stand your ground"-Gesetz mit eingebracht hatte, sagte, es erlaube Menschen lediglich, vor einem Angreifer nicht zurückzuweichen, keineswegs aber, die Konfrontation mit einem anderen Menschen zu suchen. Als Zimmerman die Aufforderung der Polizei, Martin nicht weiter zu verfolgen, ignoriert habe, "verlor er sein Recht auf Selbstverteidigung", betonte Peaden.

Indessen droht Sanford zum Aufmarschplatz von Radikalen zu werden. Zunächst erschien Michail Muhammed, Chef der militanten Schwarzenorganisation New Black Panthers, in dem Ort und erklärte, er suche 10 000 schwarze Kämpfer, um Zimmerman, der zu dem Zeitpunkt untergetaucht war, zu finden. Muhammed bot ein Kopfgeld von 10 000 Dollar und forderte seine Anhänger auf, "Auge um Auge" Rache zu üben.

Das veranlasste Jeff Schoep, "Kommandierender Offizier" der rassistischen Neonazi-Organisation NSM, "National Socialist Movement" (Nationalsozialistische Bewegung), einen Unterführer mit zahlreichen Getreuen nach Sanford zu schicken. Sie veranstalteten dort "Patrouillen" zum Schutz der weißen Bevölkerung. Diese Patrouillen bestehen aus bis zu 20 Männern in Tarnuniformen und mit automatischen Waffen. Während die Neonazis nach einem Bericht des Londoner "Independent" vor dem Rathaus von Sanford ein NSM-Banner mit Hakenkreuzen entrollten und öffentlich den Hitler-Gruß zeigten, erklärte die Polizei des Ortes, von Radikalen sei nichts zu sehen.

Die Mutter von Trayvon Martin, Sybrina Fulton, bedankte sich derweil tränenreich bei der US-Justiz für die Anklageerhebung gegen Zimmerman. Ein Herz sei weder schwarz noch weiß, sagte sie. "Es ist rot."