Amerikas Staatsoberhaupt beginnt heute in London seine achttägige Reise auf dem Alten Kontinent. Als Person ist der Präsident sehr beliebt, aber seine Konzepte sind durchaus umstritten. Bilder zur Europareise des US-Präsidenten.

Hamburg. Als "Einladung zur Desillusionierung" hat der amerikanische Senator John Kerry Barack Obamas erste Europa-Reise beschrieben. Es gebe "viel Zorn in der Welt", meinte der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Parteikollege Obamas, weil "viele Menschen glauben, wir hätten diese (Finanz-)Probleme angerichtet".

So ganz von der Hand zu weisen wäre diese Einschätzung mit Blick auf das Bankendesaster in den USA sicher nicht. Auch sind die Rezepte des US-Präsidenten zur Bewältigung der Finanzkrise nicht nach jedermanns Geschmack in Europa.

An düsteren Unkereien vor der Europa-Tour fehlt es nicht: Obama werde bei seinem achttägigen Konferenz-Marathon jenseits des Atlantiks auf eine "trotzige Welt" stoßen, schwante der "New York Times".

Politik paradox: Der US-Präsident wird in Europa nahezu messianisch umschwärmt, doch sein wirtschaftliches Reparatur-Programm stößt in der Alten Welt teilweise auf Ablehnung. Obama, der an der Konferenz der 20 stärksten Wirtschaftsnationen der Welt in London (G20) teilnehmen wird, dann am Nato-Gipfel in Kehl, Baden-Baden und Straßburg sowie am EU-USA-Gipfel in Prag, wird sich in Europa erstmals auf massive Proteste der Straße einstellen müssen.

Sein Rezept, die Notenpresse anzuwerfen und die Finanz- und Konjunkturkrise unter Inkaufnahme einer Rekordverschuldung mit gewaltigen Geldinfusionen zu kurieren, wird von den meisten Europäern sehr kritisch gesehen. Sie wollen eher striktere Regeln für den Markt - was wiederum den Amerikanern Unbehagen bereitet.

Das Programm der US-Regierung sei "der Weg in die Hölle", entrüstete sich der EU-Ratsvorsitzende Mirek Topolanek, Tschechiens Regierungschef - und wollte diese Äußerung als "legitime Warnung" verstanden wissen. Gewarnt ist Obama aber längst. Und er bestritt jetzt einfach, dass es zwischen den USA und Europa Streit über die Wirtschaftspolitik gebe. "Die wichtigste Aufgabe für uns alle ist es, eine starke Botschaft der Einheit auszusenden", zitierte ihn die "Financial Times".

Diese Einheit in London und auf dem Nato-Gipfel in Baden-Baden und Straßburg glaubwürdig zu demonstrieren wird nur möglich sein, indem man die heftigsten Streitpunkte ausklammert.

Neben der Rezeptur für eine Behebung der Finanzkrise sind dies sicher auch Obamas Konzept für die Zukunft der Nato und für die Befriedung Afghanistans. Der US-Präsident hat sich für volles Engagement am Hindukusch entschieden - obwohl die Erfolgsaussichten unsicher sind -, will den Krieg mit einer militärischen Kraftanstrengung entscheiden und dabei auch gleich die instabile Atommacht Pakistan mit auf Vordermann bringen. Die deutschen Verbündeten zum Beispiel spenden zwar grundsätzlich Beifall zu dem ehrgeizigen Plan, wollen aber keinen einzigen Soldaten mehr an den Hindukusch entsenden. Obama tut gut daran, seine Europareise nicht mit entsprechenden Forderungen zu belasten.

Und dann die Nato: Geht es nach den Amerikanern, wird aus dem transatlantischen Verteidigungsbündnis eine Art global agierender Weltpolizist unter US-Führung. Und genau dies wollen die meisten Europäer gar nicht. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", das Kerngeschäft der Nato müsse die euro-atlantische Sicherheit bleiben, "eine Art Weltpolizist zu werden kann nicht unser Ziel sein".

Obamas Sicherheitsberater James Jones sendete vor der G20-Konferenz das als beruhigend gemeinte Signal aus, der US-Präsident werde nicht nach London gehen, um Forderungen zu stellen, sondern "um zuzuhören, aber auch, um zu führen".

Doch auch Letzteres wird auf dem Londoner Gipfel nicht bei jedem auf Gegenliebe stoßen. Die "New York Times" sprach vor allem mit Blick auf die G20-Teilnehmer China und Russland von einer "Herausforderung amerikanischer Macht". Als Amtsnachfolger des umstrittenen George W. Bush, der politisch viel verbrannte Erde hinterließ, wird sich Obama den Führungsanspruch Amerikas zunächst hart verdienen müssen. Der konservative britische Außenpolitikexperte Nile Gardiner, einst Berater von Premierministerin Margaret Thatcher, meinte gar, die Kluft zwischen Europa und Amerika könne in Sachen Finanzkrise so groß werden wie während des Irak-Kriegs.

Barack Obama hat gute Chancen, dies kraft seines Charismas und seiner Konzilianz zu verhindern und die Konferenzen in Europa erfolgreich aussehen zu lassen. Um die Teufel in den umstrittenen Details werden sich anschließend Diplomaten und Beamte beiderseits des Atlantiks kümmern müssen.