Die Demokraten haben unter ihrem Präsidenten schwer gelitten. Die Wähler hassen Washington. Und im Herbst sind Kongresswahlen.

Washington. Das Hochgefühl des Triumphs wird gleich von der nüchternen politischen Wirklichkeit eingeholt: US-Präsident Barack Obama muss die mühsam durchgesetzte große Gesundheitsreform einer ungehaltenen und unberechenbaren Wählerschaft nahebringen, die immer noch unter der Rezession ächzt.

Kann sein, dass die Wähler ihm das Großprojekt nicht abkaufen. Dann stünde Obama und den Demokraten ein katastrophales Zwischenwahljahr bevor.

„Wir haben bewiesen, dass diese Regierung ... für das Volk arbeitet“, begann Obama schon kurz nach Verabschiedung des Gesetzes im Kongress mit der Überzeugungsarbeit. „Das ist keine radikale Reform, aber es ist eine große Reform“, betonte er. „So sieht der Wandel aus!“

Präsident und Partei könnten Rückenwind gut gebrauchen. Doch ob er auch kommt, ist ungewiss. Vorerst kann Obama den Sieg genießen; er vermittelt Stärke, Prinzipientreue und Effektivität, weil er etwas Großes geschafft hat. Doch bis November, bis zu den Zwischenwahlen zum Kongress, kann das alles schon wieder vergessen sein.

Mit dem Verlust der Senatorenwahl in Massachusetts und einer Reihe aus dem Kongress ausscheidender Parteifreunde haben die Demokraten bereits schwer gelitten. Und die Zeit scheint reif dafür, dass das Wahlvolk der Regierungspartei einen Denkzettel verpasst: Die Wähler sind sauer. Sie hassen Washington. Sie mögen Amtsinhaber nicht. Am meisten Sorgen machen ihnen die Wirtschaftslage und die Arbeitslosigkeit von beinahe zehn Prozent. Und sie sind geteilter Meinung darüber, ob Obamas Gesundheitsreform gut ist für ein Land mit enormem Haushaltsdefizit und wachsendem Schuldenberg.

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Was sich aus dieser Gemengelage ergibt, ist nicht abzusehen. Obama jedenfalls stärkte seinen Parteikollegen vor der knappen Abstimmung den Rücken: „Am Ende wird es sich als politisch klug erweisen“, zeigte er sich überzeugt. Draußen demonstrierten derweil die Reformgegner und drohten allen Abgeordneten, die dafür stimmten, mit Abwahl.

Nach einer Gallup-Umfrage glauben mehr Amerikaner, dass das Land und sie persönlich durch das Vorhaben schlechter statt besser dran sein werden. Laut den meisten Erhebungen passt den meisten die Reform nicht, obwohl sie einzelne Elemente durchaus gut finden. „Es ist sehr ungewöhnlich, dass eine wichtige politische Maßnahme von der Öffentlichkeit nicht mehrheitlich unterstützt wird“, meint der Historiker George Edwards. „Wenn sie die Vorteile des Gesetzes spüren, ändern sie vielleicht ihre Meinung. Aber das kann dauern.“

Ungewiss ist auch, wie die Wähler mit den oppositionellen Republikanern umgehen werden, die den „Sozialismus“ im Gesundheitswesen an die Wand gemalt haben. Einige Reformbestandteile treten sofort in Kraft, so etwa die Familienmitversicherung für Kinder bis 26 Jahre und Verbesserungen bei verschreibungspflichtigen Medikamenten für Senioren.

Wenn so etwas beim Wahlvolk gut ankommt – und die Wirtschaft anzieht – könnten die Republikaner als Blockierer dastehen. So dürften Obama und die Demokraten von jetzt an die Wohltaten der Reform herausstreichen und sich zugleich der Hauptsorge der Wähler zuwenden: den Arbeitsplätzen.

Obamas Hauptsorge dürfte es sein, die demokratischen Mehrheiten im Kongress zu behalten. Bis zu seiner eigenen Wiederwahl ist es zwar noch eine gute Weile hin, doch mit einiger Sicherheit denkt man im Weißen Haus auch schon daran. Die Demokraten haben jetzt etwas vorzuweisen, das sie eint. Doch sie haben es mit einer Öffentlichkeit zu tun, die vom Politikbetrieb in Washington genug hat und enttäuscht ist, dass sich nicht mehr geändert hat.