Zahl der zivilen Todesopfer noch immer nicht geklärt. US-Oberkommandeur angeblich wütend auf die Deutschen. Bundeswehr reagiert empört.

Hamburg/Kundus/Washington. Drei Tage nach dem Luftangriff auf zwei von den Taliban gekaperte Tanklastzüge mit Dieselöl gab es gestern immer noch keine eindeutigen Erkenntnisse über die genaue Opferzahl und den Tod von Zivilisten. Der Angriff war am Freitag vom deutschen Kommandeur in Kundus, Oberst Georg Klein, bei der Nato angefordert worden, da er befürchten musste, die Taliban könnten das Dieselöl zum Bau von Bomben verwenden.

Während offizielle afghanische Quellen noch am Sonntag behauptet hatten, es seien nur 56 "regierungsfeindliche Kräfte" bei dem Angriff von zwei US-Kampfflugzeugen mit 500-Pfund-Bomben getötet worden, sprach der Distrikt-Gouverneur von Char Darah, Abdul Wahid Omarkhel, inzwischen von 135 Toten, unter ihnen zahlreiche Kinder. Dagegen erklärte die Provinzregierung von Kundus, unter 70 Todesopfern seien nur fünf Zivilisten gewesen.

Der afghanische Präsident Hamid Karsai übte scharfe Kritik an dem Bombardement. "Was für eine Fehleinschätzung - mehr als 90 Tote für einen einfachen Tankwagen, der in dem Flussbett zudem bewegungsunfähig war", sagte der Präsident der Pariser Tageszeitung "Le Figaro" und fragte: "Warum haben sie nicht Bodentruppen geschickt, um den Tanker herauszuholen?"

Indessen führte amerikanische Kritik an dem deutschen Vorgehen zu einer Belastung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses. Die "Washington Post" hatte am Wochenende berichtet, dass sich Oberst Klein bei seinem Entschluss zum Angriff nur auf eine einzige afghanische Quelle verlassen habe. Es hieß in US-Medien ferner, der amerikanische Oberkommandierende in Afghanistan, General Stanley McChrystal, sei wütend über die Deutschen. McChrystal hatte gerade erst eine neue Richtlinie für den Afghanistan-Einsatz herausgegeben, aufgrund derer die Zivilbevölkerung künftig besser geschützt werden soll.

Offenbar hatte McChrystal bei einem Inspektionsbesuch am Ort des Bombardements am Kundus-Fluss erlaubt, dass ein Journalist der "Washington Post" das siebenköpfige Nato-Team dorthin begleitet. Dieser schrieb, die Entscheidung des deutschen Kommandeurs, sich weitgehend auf eine einzige menschliche Quelle zu verlassen, verletze die taktische Einsatz-Direktive von General McChrystal. Die Bundeswehr sprach dagegen von noch einer zweiten, jedoch geheim zu haltenden Quelle. "Das stinkt zum Himmel", zitierte die "Osnabrücker Zeitung" einen deutschen Militär, "offenbar ist Oberst Klein das Bauernopfer, um das deutsche Engagement zu diskreditieren". Dem Bericht des Blattes nach reagierten hochrangige Bundeswehr-Offiziere "empört" über "von den USA gezielt gestreute Fehlinformationen in einem laufenden Untersuchungsverfahren". Der Bericht der "Washington Post" sei eine "bodenlose Frechheit".

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich Kirsch, sagte dem WDR, das sei die "Retourkutsche" für frühere deutsche Kritik am amerikanischen Vorgehen. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sagte, mit der Kritik am deutschen Befehl zum Nato-Angriff gefährde McChrystal das Leben der deutschen Soldaten in Afghanistan.

Der Sprecher der Nato in Brüssel, James Appathurai, sah sich zu der Erklärung veranlasst, er sehe "keine Spannungen" zwischen dem US-Oberkommandeur und den deutschen Truppen in Afghanistan. Auch die Bundesregierung beeilte sich, "Risse" im Bündnis zu dementieren.