Dieser Krieg ist nicht “chirurgisch sauber“ zu gewinnen. Die Bundeswehr ist in einem Konflikt, in dem der Gegner nicht zögert, kleine Mädchen zu töten, nur weil sie zur Schule gehen wollen.

Hamburg. Am 19. April 1995 zerstörte eine Bombe aus Ammoniumnitrat und dem Treibstoff Nitromethan ein achtstöckiges Regierungsgebäude in Oklahoma City fast völlig, beschädigte 300 weitere Gebäude und tötete 168 Menschen. Und nun stelle man sich vor, der Täter Timothy McVeigh hätte statt eines Kleinlasters und einiger Hundert Liter Nitromethan mehrere Zehntausend Liter Dieselöl und einen Tanklaster verwendet.

Die Mischung aus Ammoniumnitrat - das in Kunstdünger enthalten ist - und Dieselöl ist unter dem Namen ANFO ein hochwirksamer Sprengstoff. Er wurde übrigens beim ersten Anschlag auf das World Trade Center 1993 verwendet. Dies gilt es zu wissen, wenn man die Entscheidung des Bundeswehr-Kommandos in Kundus nachvollziehen will, zwei mit Dieselöl beladene Tanklastzüge keinesfalls in die Hände der Taliban fallen zu lassen. Der Entschluss, diese Terror-Bedrohung rasch durch einen Luftangriff auszuschalten, lag auf der Hand. Die Kritik, man hätte die Tanker den Taliban in einem Bodenkampf abnehmen sollen, ist geradezu töricht.

Die Bundeswehr hätte in finsterer Nacht und schwierigem Terrain einen schwer bewaffneten Gegner, dessen Zahl auf 67 Mann beziffert wurde, zumindest mit der dreifachen Übermacht attackieren müssen. Vermutlich hätte es dabei Dutzende tote Deutsche gegeben. Nach den ihm vorliegenden Informationen konnte der deutsche Oberst kaum einen anderen Entschluss fassen - sofern es stimmt, dass er zudem zwei Quellen hatte, die ihm versicherten, an den Tankern hielten sich ausschließlich Bewaffnete auf.

Wer diese Argumentation zynisch findet, sollte sich vor Augen halten, dass sich die Bundeswehr in einem Krieg gegen einen Gegner befindet, der nicht zögert, kleine Mädchen zu töten, weil sie zur Schule gehen wollen.

Die Tragödie von Kundus lehrt ein weiteres Mal, dass ein asymmetrischer Krieg wie jener am Hindukusch eben nicht "chirurgisch sauber" zu führen ist. Tausende Zivilisten sind in Afghanistan bereits getötet worden - während die Taliban immer stärker geworden sind und sich der korrupte, vom Westen gestützte Präsident Karsai offenbar nur per Wahlfälschung im Amt behaupten konnte.

Zu beklagen gibt es nun eine Tragödie und den Tod von Zivilisten. Und es gibt so einiges zu kritisieren: wie das offensichtliche Bemühen der USA, die Deutschen an den Pranger zu stellen, um Druck von ihrer eigenen Militärführung zu nehmen - womit sie aber den Zusammenhalt im Nato-Bündnis beschädigen - oder die dilettantische Informationspolitik von Verteidigungsminister Franz Josef Jung.

Und doch geht all diese Kritik an den Kernfragen vorbei: Ist dieser Nato-Einsatz wirklich das geeignete Mittel, um Afghanistan zu befrieden? Und: Welches Interesse haben wir Deutschen an diesem Krieg eigentlich?

Thomas Frankenfeld (58) ist Chefautor des Hamburger Abendblatts, diplomierter Politologe und Oberst der Reserve der Bundeswehr.