Nach dem Bericht von US-Kommandeur McChrystal ist der Einsatz am Hindukusch anders nicht zu gewinnen. Washington befürchtet Verbindung zwischen Kabuler Regierung und Terroristen.

Hamburg/Washington/Kabul. Es sah alles nach einem raschen Erfolg aus: Drei Tage nach einem Bombenanschlag, bei dem der US-Soldat Abraham Wheeler getötet und die CBS-Korrespondentin Cami McCormick schwer verletzt worden waren, konnten drei der Tat Verdächtige mit erheblichen Mengen Sprengstoff gefasst werden. Weitere Beweise wurden sichergestellt, darunter Fingerabdrücke. Dann kam die faustdicke Überraschung - bei der Durchsuchung der mutmaßlichen Terroristen fand sich ein Handy, in das eine Nummer im afghanischen Verteidigungsministerium einprogrammiert war. Und das US-Militär erhielt umgehend einen Brief des Kabuler Ministeriums mit der Forderung, den Handy-Besitzer freizulassen - man habe den falschen Mann festgenommen.

"Wir glauben, dass der Mann Verbindungen zum Ministerium unterhielt", sagte US-Oberstleutnant Tom Gukeisen dem Sender CBS, "zu jemandem in dem Büro, das nun politischen Druck ausübt." Andere US-Offiziere sagten dem Sender, es werde in Afghanistan weder Gerechtigkeit noch Sicherheit geben, falls die Regierung in Kabul gemeinsame Sache mit Bombenattentätern mache.

Der Oberbefehlshaber der US-Truppen am Hindukusch, General Stanley McChrystal, hat die Lage als "ernst" bezeichnet. McChrystal hat der Regierung in Washington und seinem Vorgesetzten David Petraeus einen Bericht vorgelegt, der zurzeit geprüft wird. Darin heißt es dem Vernehmen nach, dass die neue Strategie für Afghanistan nur mit noch mehr Soldaten umzusetzen sei. Wie zwei hohe Nato-Beamte unter der Bedingung der Anonymität gegenüber US-Medien enthüllten, wird McChrystal seinem Report in Kürze eine Anforderung für zusätzliche amerikanische Truppenverstärkungen hinzufügen. Diese Anforderung dürfte erheblich über jene weiteren 21 000 Soldaten hinausgehen, zu denen sich US-Präsident Barack Obama bereits verpflichtet hat.

Rund 100 000 Nato-Soldaten kämpfen bereits in Afghanistan, in Kürze werden fast 70 000 Amerikaner am Hindukusch sein. General McChrystal fordert angesichts der enormen taktischen Fortschritte der radikalislamischen Taliban "verstärkte Anstrengungen". Der August war mit 77 getöteten ausländischen Soldaten, darunter 47 Amerikaner, nach Auskunft der unabhängigen Organisation icasualties. org der blutigste Monat für die internationalen Truppen seit Beginn des Einsatzes vor knapp acht Jahren. McChrystals Ruf nach Truppenverstärkung betrifft aber offenbar nicht nur die USA: Wie der "Spiegel" berichtete, wird Washington nach der Bundestagswahl von Berlin verlangen, noch mehr Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan zu verlegen. Das hätten US-Diplomaten gegenüber CDU-Politikern angekündigt.

Obama sieht sich vor einem Dilemma. Zum einen ist die Zustimmung zum Krieg am Hindukusch auch in den USA dramatisch gesunken - mehr als die Hälfte der Amerikaner meinen inzwischen, es lohne den Einsatz dort gar nicht. Zum anderen wächst die Distanz zwischen der US-Regierung und dem als ultrakorrupt geltenden Regime des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai immer stärker. Die "Times" schrieb, dem Westen drohe bezüglich der Fälschungen bei der Präsidentenwahl vom 20. August in Afghanistan eine verlorene Schlacht. Ein Wahlbeobachter sprach jetzt von "systematischer und weit verbreiteter Fälschung" des Wahlergebnisses - "in großem Maßstab und quer durch das ganze Land". Damit sei nicht nur die Legitimation der Karsai-Regierung untergraben, sondern auch der Einsatz der Nato.