Der Öl-Staat Texas gibt Vollgas bei der Windkraft. Ausgerechnet Amerikas größte Klimasünder wollen sich an die Spitze der Klimawende setzen. Und sie sind auf gutem Wege - mit Milliarden aus dem Öl-Geschäft.

Austin (Texas). Seine Bekannten würden Cliff Etheredge wohl kaum als Umweltschützer bezeichnen. Der silberne Pick-up-Truck des 66-Jährigen wiegt drei Tonnen und frisst Unmengen Treibstoff. Doch nur wenige Amerikaner haben in den vergangenen fünf Jahren mehr für den Klimaschutz und die Entwicklung erneuerbarer Energien getan als der einarmige Baumwoll-Bauer aus Roscoe (Texas).

Dank Etheredges Engagement wird rund um die nur 1300 Einwohner zählende Gemeinde zurzeit der größte Windpark der Welt mit 627 Rotoren und einer Gesamtleistung von 800 Megawatt (MW) fertiggestellt, genug um 265 000 Haushalte mit Strom zu versorgen. Eine Tatsache, die ihn bis heute zum Schmunzeln bringt und mit dem Kopf schütteln lässt: "Es ist einfach unglaublich!" Genau wie sein Vater und Großvater vor ihm habe er jahrzehntelang über den Wind geschimpft, der alle Feuchtigkeit aus dem ohnehin schon trockenen Boden gesogen und seine Pflanzen zerstört habe. Aber jetzt sei alles anders, sagt Etheredge: "Heute lieben wir den Wind!"

Diese Liebesbeziehung begann im Jahr 2004. Damals entdeckte Etheredge die ersten weißen Türme in der Region. Er begann über Windenergie zu lesen, erstellte eigene Messungen und organisierte die Landbesitzer seiner Heimatstadt, bevor er sich auf die Jagd nach Investoren machte - und einen Volltreffer landete. Die Firma Airtricity entschloss sich, eine Milliarde Dollar in das Projekt Roscoe zu investieren, und jetzt führt E.on die Arbeiten zu Ende. Der Energiekonzern mit Sitz in Düsseldorf kaufte Airtricity im Jahr 2007. "Da wussten wir, dass sich alles ändern würde", sagt Etheredge: "Wind is the new oil."

So wie Cliff Etheredge denken heute immer mehr Texaner: Sie wollen mit allen Formen von grüner Energie großes Geld verdienen. Wissenschaftler und Unternehmer sind überzeugt davon, dass Texas zum zentralen Wirtschaftsstandort für erneuerbare Energien in den USA werden kann und weite Teile des Kontinents mit sauberem Strom versorgen wird. Denn in Texas gibt es mehr Wind und Sonne als irgendwo sonst in Nordamerika. Schon heute stehen drei der größten Windparks der Welt westlich von Dallas. Sie haben mit dafür gesorgt, dass die USA Deutschland als international führenden Produzenten von Windenergie überholt haben. Eine der größten Solaranlagen des Landes entsteht nördlich der Hauptstadt Austin.

Zwar kommt eine Energiewende nicht von heute auf morgen, schon gar nicht im Öl-Staat Texas. Noch haben hier herkömmliche Energieunternehmen den Hauptanteil an der Wirtschaftsleistung, und der texanische Gouverneur zweifelt öffentlich daran, dass der Mensch das Klima beeinflusst. Aber die ersten Erfolge haben für eine Aufbruchstimmung gesorgt - wie damals im Jahr 1901, als das erste Öl gefunden und damit die Mobilisierung der Welt eingeleitet wurde. Und bereits jetzt ist klar: Mit Blick auf die Erderwärmung ist ein Wandel in der Energiewirtschaft nirgendwo so wichtig wie hier.

Denn im Land der Klimasünder sind die Texaner die Nummer eins. Im Durchschnitt verbrauchen sie 66 Prozent mehr Benzin, Gas und Strom als alle anderen Amerikaner. Ihre ölverarbeitende Industrie benötigt Unmengen von Energie - ebenso wie ihr Lebensstil. Sie fahren riesige Spritschlucker und leben in großen Eigenheimen, in denen Klimaanlagen fast das ganze Jahr hindurch für die nötige Kühlung sorgen. Hinzu kommt, dass die Texaner weiterhin fast die Hälfte ihres Stroms mit einheimischem Gas erzeugen.

So erschreckend diese Zahlen sein mögen, so groß ist das Potenzial für grünen Strom im Südwesten der USA - und ebenso eindrucksvoll ist auch der Boom in der Windenergie, der vor zehn Jahren begann. 1999 legte Texas einen Mindestanteil an erneuerbaren Energien am Gesamtstromverbrauch fest, als zweiter Bundesstaat überhaupt. Allein Nolan County, der Landkreis, in dem auch das Städtchen Roscoe liegt, konnte 2008 eine installierte Windenergiekapazität von 2500 MW vorweisen, mehr als alle anderen US-Staaten und Länder wie Australien oder Japan.

Ein Zusammenschluss aus Stromnetzbetreibern will nun zusätzliche Hochspannungsleitungen bauen, um noch viel mehr Windenergie aus dem Norden und Westen in die Metropolen im Herzen des Bundesstaates zu bringen. Das Projekt, das im März besiegelt wurde, soll fünf Milliarden Dollar kosten und gilt als die bis dato größte Investition in erneuerbare Energien in den USA. Mithilfe der neuen Infrastruktur soll die Windkapazität in Texas innerhalb von nur drei Jahren auf rund 18 500 MW ausgebaut werden.

Der Ausbau der Stromleitungen in die ländlichen Gegenden wird auch dabei helfen, den Anteil des Solarstroms zu vervielfachen. Derzeit beträgt dieser weniger als 0,5 Prozent. Aber Experten haben errechnet, dass der Staat über eine Sonnenenergie-Kapazität von 148 000 MW verfügt. Auch hier ist Texas die Nummer eins im nationalen Vergleich. Solarthermische Kraftwerke auf einer Fläche von 50 mal 50 Kilometern in West-Texas könnten den gesamten Staat mit Strom versorgen. Ein erster Schritt zum Ausbau der Solarenergie wurde im März gemacht. Der Stadtrat ("City Council") von Austin beschloss, dass die größte Fotovoltaik-Anlage des Landes mit einer Leistungskraft von 30 MW Ende 2010 ans Netz gehen soll.

Doch auch unterhalb der texanischen Erde soll in Zukunft Geld mit grüner Technologie gemacht werden. Führende Wissenschaftler an der Universität von Texas und der Texas-A&M-Universität erforschen die dritte Generation von Biosprit, der aus Algen gewonnen wird. "In Texas gibt es riesige, leicht salzige Grundwasserschichten, viel CO2 und reichlich Sonnenschein. Genau die Voraussetzungen, die Algen zum Leben brauchen", sagt Michael Webber, Energie-Experte an der Universität von Texas. Zudem bestünden wohl nirgendwo auf der Welt - mit der Ausnahme von Saudi-Arabien - so große Möglichkeiten für die geologische Einlagerung von CO2. Webber fügt hinzu: "Wir haben Milliarden Tonnen Öl, Gas und Kohle aus dem Erdboden geholt. Bald könnten wir Milliarden Tonnen wieder hineinstecken."

Dass selbst herkömmliche Energieunternehmer umdenken und mit der Zeit gehen können, beweist T. Boone Pickens. Der 80-Jährige aus Dallas verdiente mit Öl Milliarden, will jetzt aber die Wirtschaftskrise nutzen, um die Energiewirtschaft des Landes umzukrempeln. Sein Plan sieht sogar vor, dass die Motoren amerikanischer Lkw umgerüstet und mit heimischem Gas betrieben werden anstelle von arabischem Öl. Seine Botschaft: "Amerikas Abhängigkeit vom Öl bedroht unsere Wirtschaft, unsere Umwelt und unsere Sicherheit."

Um ihn für seine erfolgreiche Kampagne zu würdigen, nahm das Magazin "Time" Pickens jüngst in die Liste der "100 einflussreichsten Menschen des Jahres" auf. Ein Vierteljahrhundert zuvor hatte die Zeitung dem Geschäftsmann schon einmal eine Titelseite gewidmet. Der Tenor war jedoch ein anderer - Pickens und seine nur 650 Mitarbeiter zählende Firma Mesa Petroleum hatten gerade mehrere Konkurrenten geschluckt und auch die Großen der Branche das Fürchten gelehrt. "Für viele ist T. Boone Pickens ein echter J. R. Ewing, ein skrupelloser, aber faszinierender Macher, den die Zuschauer der Fernsehserie ,Dallas' gerne verachten - und doch heimlich bewundern", schrieb "Time" damals.

Gewieften Drehbuchautoren dürfte es nicht schwerfallen, die "Dallas"-Saga um einen inzwischen zum Grünen mutierten J. R. Ewing weiterzuspinnen. Denn auch im neuen Energiemarkt wird mit harten Bandagen um Milliarden gerungen. Pickens rechnet vor, wie die Vereinigten Staaten mit Investitionen von 180 Milliarden Dollar für Windkraftanlagen und Lastwagen mehr als drei Millionen Jobs schaffen könnten und kein arabisches Öl mehr einführen müssten. Wenn der zwölffache Großvater von seiner Motivation spricht, redet er gern über nationale Sicherheit, Arbeitsplätze und eine bessere, saubere Welt, die er seiner Familie hinterlassen will. Aber natürlich ist Pickens weiterhin Unternehmer. Rund um Sweetwater (Texas), der Nachbarstadt von Roscoe, will er den größten Windpark der Welt bauen. Letztes Jahr hat er zwei Milliarden Dollar investiert und 700 Windturbinen bei General Electric bestellt.

Auch für Cliff Etheredge aus Roscoe steht der wirtschaftliche Gewinn eindeutig im Vordergrund. Ob die Stadt mit ihrem Windpark dazu beiträgt, die Erderwärmung aufzuhalten, bezweifelt er. "Aber hier in der Gegend findet jetzt jeder Arbeit. Junge Menschen, die vor Jahren aus Roscoe weggezogen sind, um zu studieren oder in der Öl-Industrie zu arbeiten, kehren wieder zurück", sagt Etheredge. Der Mann, der vor 30 Jahren seinen rechten Arm bei einem Ernteunfall verlor, hat mit Sohn David und Tochter Kim eine Firma gegründet. Sie beraten Grundbesitzer und handeln Pachtverträge für Landstriche aus, auf denen mal Windrotoren stehen sollen. Ein Einzelner bringt je nach Größe 3000 bis 10 000 Dollar. Ihre Arbeitsplätze gehören mit zu den mehr als 55 000, die in Texas laut einer Studie der Pew-Stiftung an die nachhaltige Energiewirtschaft gebunden sind.

Für das deutsche Unternehmen E.on jedenfalls ist Texas der weltweit größte Wachstumsmarkt in Sachen Windenergie. "Aufgrund der idealen Windverhältnisse kann man nirgendwo auf der Welt so viel Strom für jeden angelegten Euro erhalten. Wir werden weiter investieren", sagt Unternehmenssprecher Christian Drepper.

In Roscoe hat E.on bereits ein Büro. Genau wie Siemens, dessen Mitarbeiter derzeit die letzten 40 Windkraftanlagen des Großprojekts errichten. Die Niederlassungen sind Schmuckstücke für die Kleinstadt, in der vor Jahren das letzte Fast-Food-Restaurent dichtgemacht hat. Doch sobald der Windpark die ersten Gewinne abwirft, wollen Cliff Etheredge und seine Mitstreiter noch mehr Leben zurückbringen und sogar Touristen in die Provinz holen: "Dann eröffnen wir ein Windenergie-Museum."