Die USA werden nicht in der Lage sein, die immer komplexer werdenden Probleme einer multipolaren Welt allein zu lösen.

Washington/Hamburg. "Heute haben wir aus den Leiden des Krieges gelernt, dass große Macht auch große Verantwortung mit sich bringt", schrieb Franklin Delano Roosevelt in seinem letzten Manuskript am 11. April 1945 - zwei Tage vor seinem Tod. Der schwer kranke US-Präsident, Sieger des Zweiten Weltkriegs, wird geahnt haben, dass die Macht der Vereinigten Staaten nach dem Triumph auf den Schlachtfeldern in Europa und Asien einem neuen Höhepunkt zustrebte. Wie gewaltig sie bis zur Jahrtausendwende anwachsen würde, hätte sich Roosevelt wohl nicht in seinen kühnsten Träumen vorstellen können. Allerdings auch nicht, dass ein späterer Amtsnachfolger gleich zu Beginn des neuen Jahrtausends dieser Verantwortung nicht gerecht werden und das Ansehen der USA auf ungeahnte Tiefstände herabziehen würde.

Wenn man den Chef-Analysten der amerikanischen Geheimdienst-Familie glaubt, hat Amerika den Zenit seiner Macht überschritten und ist im Niedergang begriffen. Es ist zunächst nur ein relativer Niedergang - denn auch die kommenden Jahrzehnte werden die USA noch die für sich betrachtet stärkste Macht auf Erden sein. Doch diese Macht wird von weiteren, immer kräftiger werdenden Polen relativiert. Eine multipolare Welt also.

Es ist ein Konzept, das der Wolfowitz-Doktrin diametral entgegensteht, die der frühere US-Verteidigungsminister und Weltbankchef Paul Wolfowitz einst formulierte und die sich in der gültigen Nationalen Verteidigungsstrategie der USA maßgeblich niederschlug. Wolfowitz forderte, die Dominanz der USA über den Globus sicherzustellen und Rivalen notfalls frühzeitig zu "entmutigen" - auch mit militärischen Mitteln.

Nun wird die politische Architektur unserer Erde im Jahre 2025 "nicht wiederzuerkennen sein", wie es im Bericht "Globale Trends 2025 - eine transformierte Welt" des National Intelligence Council heißt. Das NIC ist das Analysezentrum der 15 amerikanischen Geheimdienste.

Für die USA eröffnet dieser jüngste Bericht der eigenen Experten die düstersten Prognosen, die der NIC je erarbeitet hat. Danach werden sich die politische und wirtschaftliche Macht der USA, die nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums zur alleinigen Supermacht aufgestiegen waren, dramatisch verringern, während gleichzeitig Akteure wie China, Indien, Russland und Brasilien ihren globalen Einfluss ausweiten werden.

Der von George W. Bush stets betonte Schlüsselfaktor Militärmacht wird nach Ansicht Fingars "der geringste Pluspunkt" der USA in einer zunehmend wettbewerbsorientierten Welt sein. "Denn niemand wird uns mit massiver konventioneller Macht angreifen."

Zwar werden die USA in den kommenden Jahrzehnten nach Analyse des NIC nicht mehr in der Position sein, der Welt die künftigen Strukturen zu diktieren - aber andere auch nicht. "Niemand ist in der Position, die Führung zu übernehmen und jene Veränderungen zu bewirken, die im internationalen System vorgenommen werden müssten", meint der NIC-Chef.

Ein bislang nicht erlebtes Wirtschaftswachstum in den aufstrebenden Staaten China, Indien, Brasilien und anderen, verbunden mit einem weiteren Bevölkerungswachstum um 1,5 Milliarden Menschen, wird einen gewaltigen Druck auf die verbliebenen Ressourcen der Erde ausüben - vor allem im Energiebereich.

Es drohen zwischenstaatliche Kriege um Wasser und Energie. Andererseits könnte die zunehmende Umstellung auf alternative Energien den Niedergang von Ölproduzenten im Nahen Osten und in Eurasien einleiten.

Dem Bericht der Geheimdienstanalysten nach ist China im Begriff, "mehr Einwirkung auf die Welt in den nächsten 20 Jahren zu haben als irgendein anderes Land". 2025 werde China die zweitgrößte Wirtschaftsnation der Erde und dazu eine führende Militärmacht sein.

Eine globalisierte Weltwirtschaft und ein bisher nicht gesehener Transfer von Wohlstand und Wirtschaftsmacht von West nach Ost werden die internationale Architektur zusätzlich völlig verändern. In der künftigen multipolaren Welt wird es allerdings Lücken nationaler Macht geben - da nämlich, wo "failed states", politisch gescheiterte Staaten also, nicht für Stabilität und Ordnung sorgen können. Unter anderem aus diesem Grund werden nicht staatliche Akteure wie Großkonzerne, Kirchen, Stammesgemeinschaften, aber auch kriminelle Netzwerke in der zukünftigen Weltordnung an Einfluss gewinnen.

Einige der wichtigsten Pole dieser neuen Weltordnung - wieder China, Indien und Russland - werden nach Analyse des NIC nicht dem liberalen Zivilisationsmodell folgen, für das die USA als Vorbild stehen. Sie werden das Modell des "Staats-Kapitalismus" mit rigiden Eingriffen in Wirtschaft und Politik ausbauen.

Genau hier haben die USA ein massives Image-Problem: Der spektakuläre Zusammenbruch von Teilen des amerikanischen Immobilien- und Bankensystems sowie der Niedergang der einst übermächtigen US-Autoindustrie trüben die Strahlkraft des kapitalistischen Wirtschaftsmodells made in USA.

Die ganze Analyse sei "eine Geschichte mit unklarem Ausgang", heißt es in der Zusammenfassung des 120 Seiten starken NIC-Berichtes. Während die Macht der USA abnehme, sei nicht sicher, ob andere Akteure sich bereit erklärten, die Probleme der Welt mit zu schultern. Politik und Öffentlichkeit müssten sich auf zunehmende Forderungen nach internationaler Zusammenarbeit einstellen, während das internationale System durch die zu erwartenden Verwerfungen schwer belastet wird.

Der künftige US-Präsident Barack Obama, daheim bereits konfrontiert mit einem wirtschaftlichen Niedergang und zwei verlustreich verlaufenden Kriegen im Irak und in Afghanistan, dürfte sich daher rasch an seine Freunde in Europa wenden, um wenigstens die internationalen Probleme gemeinsam schultern zu können.