Nino Sologashvili (30) pendelt als freie Journalistin und Übersetzerin zwischen Georgien und Deutschland. Sie hat unter anderem die Erinnerungen von...

Hamburg. Nino Sologashvili (30) pendelt als freie Journalistin und Übersetzerin zwischen Georgien und Deutschland. Sie hat unter anderem die Erinnerungen von Eduard Schewardnadse "Als der Eiserne Vorhang zerriss" ins Deutsche übersetzt.


Abendblatt:

Hat die Eskalation im Kaukasus Sie überrascht?

Nino Sologashvili:

Der Konflikt hatte sich zwar seit Monaten angekündigt, aber ich habe nicht erwartet, dass Russland so hart zurückschlägt. Es gab schon vor dem 6. August Tote auf beiden Seiten, es war immer wieder zu Gefechten gekommen ...



Abendblatt:

... trotz der russischen Friedenstruppen?

Sologashvili:

Ja, die haben diese Vorgänge beobachtet, aber nichts getan. Eine wirklich neutrale Friedenstruppe hätte doch die Alarmglocken läuten müssen. Aber sogar russische Kollegen in Südossetien haben gesagt: Niemand hatte die Sache mehr unter Kontrolle.



Abendblatt:

Hat der Westen zu spät reagiert?

Sologashvili:

Die Lage wurde im Westen nicht so wahrgenommen, wie sie war. Mich wundert auch, dass Bundesaußenminister Steinmeier im Juli nach Georgien und Abchasien gereist ist. Ich hatte eher erwartet, er würde nach Südossetien fahren, um zu versuchen, diesen Konflikt zu beruhigen.



Abendblatt:

Hätte der Konflikt vermieden werden können?

Sologashvili:

Viele Menschen hatten darauf gebaut, dass zwischen Südosseten und Georgiern allmählich ein Vertrauen entstehen könnte. Anfangs hatte Saakaschwili solche Signale durchaus ausgesendet. Er hat sich beim Amtsantritt als bisher einziger Präsident auch auf Südossetisch und Abchasisch an die Bevölkerung gewendet. Seine Regierung wollte die Bahnverbindung zwischen Tiflis und der südossetischen Hauptstadt Zchinwali wieder in Betrieb nehmen, in den Schulen sollte wieder in südossetischer Sprache unterrichtet werden, zwischen georgischen und südossetischen Dörfern wurde ein kostenloser Krankennotdienst eingerichtet. All das hat Saakaschwili jetzt zerstört.



Abendblatt:

In Tiflis demonstrierten gestern Zehntausende für ihn.

Sologashvili:

Ich bin sicher, dass viele Georgier Fragen an ihn stellen werden. Aber solange russische Truppen im Land sind, will man zusammenhalten. Die Georgier erinnern sich an 1989, als russische Truppen einmarschierten. Ich selbst habe das erlebt.



Abendblatt:

Können sich die Georgier unabhängig informieren, was wirklich vorgeht?

Sologashvili:

Es gibt neben den regierungsnahen nur einen regierungskritischen TV-Sender, der aber nur in und um Tiflis zu empfangen ist. Am Anfang des Konflikts wurden russische Webseiten gesperrt, weil die Regierung nicht wollte, dass man "Propagandabilder" sieht. Aber Propaganda gibt es auf beiden Seiten.



Abendblatt:

Was erwarten Sie vom Westen? Was wäre vernünftig?

Sologashvili:

Die Georgier fordern Sanktionen gegen Russland und wirtschaftliche Aufbauhilfe. Ich bin auch Georgierin, aber ich glaube, dass wir die Dinge oft nicht differenziert genug sehen. Es wäre einseitig zu sagen, dass nur Russland Schuld hat. Im Moment ist die Hauptsache, dass russische Truppen aus Georgien abziehen. Ich halte die Stationierung von EU-Truppen für vernünftig, denn wir brauchen Truppen, die sofort Alarm schlagen, wenn es Konflikte gibt. Georgien muss erst vorbereitet werden, eine europäische Zivilgesellschaft zu werden. Die neue Generation in Georgien und Südossetien kannte keinen Krieg - jetzt hat sie ihn kennengelernt, und die alten Wunden brechen wieder auf. Das ist die Tragödie.


Interview:


Nino Sologashvili befasst sich als Journalistin vor allem mit Fragen der Kaukasus-Politik.